02.01.2013

Anfrage

Darf der Wortlaut biblischer Texte angepasst werden?

Im Johannesevangelium (6,1–15) heißt es: „… es waren etwa 5000 Männer.“ Kann man nicht sagen: „Es waren etwa 5000 Männer, dazu Frauen und Kinder“? Oder einfach: „Es waren 5000 Menschen“? Ist es eine unumstößliche Vorschrift, den Wortlaut des Evangeliums zu belassen oder kann er dem heutigen Verständnis angepasst werden? Wer darf eventuelle Änderungen vornehmen?
K.-H. W., Kreuzau

Grundsätzlich richtet sich die Übersetzung nach dem international anerkannten griechischen Urtext, der anhand verschiedenster erhaltener Manuskripte und Abschriften rekonstruiert worden ist. Darin lautet die Stelle Joh 6,10b: „… anépesan oun hoi ándres tòn arithmòn hos pentakis-chílioi“, wortwörtlich übersetzt: „Als sich gelagert hatten nun Männer an der Zahl ungefähr fünftausend“.
Das Wort „ándres“ (Singular „anér“) meint in den meisten Fällen Männer, der Plural kann auch mit „Leute“ übersetzt werden. Allerdings besitzt „anér“ nicht die ausschließlich maskuline Bedeutung wie das deutsche „Mann“, sondern oft eher „Person“ – ähnlich dem französischen „hommes“ oder italienischen „uomini“.

Im antiken Israel hatten Frauen bei offiziellen Versammlungen wenig zu suchen und zu melden. Doch Jesus wird eher Menschen vor sich gehabt haben, die ihm aus Neugier und Interesse gefolgt sind. Unter denen waren auch Frauen, Babys oder Kinder, die im Umfeld Tiere hüten mussten. Zudem ist wenige Verse zuvor vom „óxlos“ die Rede, von „der (bunten) Volksmenge“. Wie nun der griechische Text übersetzt wird, entscheidet in der Regel das Übersetzergremium, das aus bibeltheologischen und sprachwissenschaftlichen Experten besteht. Offizielle katholische Übersetzungen benötigen das Okay der Bischöfe und der Liturgiekongregation in Rom. Die Einheitsübersetzung – und mit ihr das deutschsprachige Lektionar – übersetzen „ándres“ mit „Männer“.

Bei der Übersetzung der Bibel gibt es zwei Grundhaltungen: Entweder hält man sich eng an den ursprünglichen und maßgeblichen Text, um ihn zu bewahren und deutlich zu machen, in welcher Zeit, in welchem Umfeld und Denken er entstand. Dann muss man viele Stellen eigens interpretieren. Oder man lässt in die Übersetzung bereits Deutungen und Aktualisierungen einfließen. Die machen den Text für heutige Hörer/Leser zwar (auf den ersten Blick) verständlicher, fügen aber etwas hinzu, was so nicht darinsteht. Die Kunst besteht darin, möglichst eng am Text zu übersetzen und so zu formulieren, dass er sich heute gut liest, selbst wenn eine gewisse Fremdheit der alten Texte bestehen bleibt.
Roland Juchem