17.10.2014
Ein Kommentar zur Sterbehilfe
Der Angst begegnen
Durch ein neues Eckpunktepapier zur Sterbehilfe, dass im Bundestag vorgelegt wurde, ist die Debatte um das ethisch kontrovers diskutierte Thema neu aufgeflammt. Der Bundestag darf den Tod nicht zur Dienstleistung machen, sagt Andreas Kaiser in seinem Kommentar.
Als sich 2010 der ehemalige Manager Eberhard von Brauchitsch gemeinsam mit seiner an Parkinson erkrankten Frau Helga in der Schweiz umbrachte, herrschte beklemmende Stille im Land. Zu Recht. Wenn alte Menschen am Leben verzweifeln, darf das niemanden kaltlassen. Es zeigt, dass etwas in unserer Gesellschaft aus den Fugen geraten ist. Das belegen auch Umfragen. In einer Welt, die immer mehr auf Jugend und Leistung setzt, fühlen sich immer mehr Menschen als Last, hätten im Notfall gerne fremde Hilfe, um ihr Leben zu beenden. Doch eine Legalisierung der Sterbehilfe durch die Politik wäre die falscheste aller möglichen Antworten. Man darf aus der Verzweiflung Einzelner kein allgemeingültiges Gesetz machen. Mit jeder, und sei es noch so vorsichtigen Freigabe des Tötens wird sich der Druck auf Alte, Kranke und Behinderte – Motto: Opa wann gehst du endlich – weiter erhöhen. Das würde die humane Temperatur in unserem Land weiter Richtung Gefrierpunkt absenken, wie das jüngst der katholische Arzt und Autor Manfred Lütz sehr richtig vermutete.
Wie sehr die jahrelange Debatte um Sterbehilfe die Einstellung gegenüber dem einzigartigen Geschenk des Lebens inzwischen verändert hat, bewies jüngst der „Freitod“ von Ex-MDR-Intendant Udo Reiter. Von Sterbehelfern wurde dessen „mutiger Schritt“ sofort beklatscht und für eine Werbekampagne missbraucht. Doch bei genauer Betrachtung zeigt dessen Tod auch: Hinter fast jedem Suizid oder dem Wunsch danach steckt Angst. Es ist die Angst vor unerträglichen Schmerzen. Die Angst, am Lebensende allein und hilflos zu sein. Auch Reiter hatte kürzlich erst bekannt, er wolle weder „vertrotteln“, noch auf fremde Hilfe angewiesen sein. Doch wo käme unsere Gesellschaft hin, wenn es keiner mehr erträgt, gepflegt zu werden oder selbst zu pflegen? Unzählige Angehörige, die moderne Schmerzmedizin und immer neue, hoch engagierte Hospizdienste beweisen uns doch Tag für Tag, dass man auch für todkranke und demente Menschen noch ganz viel Gutes tun kann. So viel wie nie zuvor. Aufgabe der Politik muss es daher sein, Versorgungslücken in der Pflege und der Palliativmedizin zügig zu schließen. Nur so kann man der Angst und mit ihr auch den Sterbehelfern den Nährboden entziehen. Denn die haben aus ihrem angeblich ach so hehren Einsatz für das Selbstbestimmungsrecht des Menschen doch längst ein lukratives Geschäft gemacht. Der Dienstleistung namens Tod muss der Bundestag einen Riegel vorschieben. Am besten schnell.
Von Andreas Kaiser