14.09.2016

Kommentar

Die Kritik ist unfair

Scharfe Kritik übt der emeritierte Papst Benedikt XVI. in seinem neuen Interviewbuch. Mit der katholischen Kirche in Deutschland geht er ungewöhnlich hart ins Gericht. Doch warum? Ein Kommentar von Ulrich Waschki.

Warum tut er das? Ungewöhnlich scharf kritisiert der emeritierte Papst Benedikt XVI. in einem Interviewbuch mit Peter Seewald die deutsche Kirche. Welche Verletzungen und Enttäuschungen muss Joseph Ratzinger in seiner Heimat erfahren haben, dass er zu solchen Worten greift?

Zur Einordnung: Die Kritik findet sich an zwei Stellen des Buches. Es sind vielleicht zwei von fast 300 Seiten. Und Benedikt XVI. äußert sie in Gesprächen, die sich um eine Fülle von Themen drehen. Die Kritik an der deutschen Kirche steht also nicht im Mittelpunkt seiner Botschaft.

Aber sie ist da. An der ersten Stelle mit etwas Wertschätzung eingeleitet. Benedikt spricht davon, dass es auch bei uns „gewiss lebendigen Glauben“ gebe. Aber dann kommt die Kritik. An der zweiten Stelle sogar ganz ohne Wertschätzung, nur noch schroff: „In Deutschland haben wir diesen etablierten und hoch bezahlten Katholizismus, vielfach mit angestellten Katholiken, die dann der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität gegenübertreten. Kirche ist für sie nur der Arbeitgeber, gegen den man kritisch steht. Sie kommen nicht aus einer Dynamik des Glaubens“. Das sitzt. Und ist einfach unfair.

Natürlich hat die Kirche in Deutschland in deutscher Gründlichkeit manch mittlerweile überflüssige Struktur aufgebaut. Es gibt eine Glaubensmüdigkeit und vielleicht auch (noch) zu viel Geld im System Kirche. Und ja, wir tun uns schwer mit dem dringend nötigen missionarischen Aufbruch, mit dem Zeugnis für Gott in dieser Welt.

Aber pauschal vor allem die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Menschen ohne „Dynamik des Glaubens“ abzuurteilen, geht nicht. Es gibt so viele hoch engagierte, fromme und spirituelle Menschen in den Reihen der in Benedikts Worten „ungeistlichen Bürokratie“. 

Als Professor, Bischof und auch als Kardinal dürfte Joseph Ratzinger von den gescholtenen Strukturen der deutschen Kirche profitiert haben. Als Kardinal hat er an den Bischofsernennungen in Deutschland mitgewirkt, als Papst selber Bischöfe ernannt.

Die Kritik wiegt umso schwerer als Benedikt XVI. in dem Interviewbuch für viele andere Verständnis zeigt. Angesprochen auf die Kritik an Karrierismus und Intrigen im Vatikan, stellt er sich vor die Mitarbeiter des Kirchenstaats und lobt ihre Hingabe, ihren Einsatz für Gott und die Kirche. Ein Lob, das die Mitarbeiter im deutschen Weinberg des Herrn von ihm offensichtlich nicht verdient haben. Schade.

Von Ulrich Waschki

Zum Artikel über das neue Buch Benedikts XVI.