06.06.2013
Dürfen lutherische Pastoren katholisches Hochgebet nutzen?
Ich habe gelesen, in USA und Deutschland seien lutherische Pastoren berechtigt, das zweite Hochgebet der katholischen Kirche zu benutzen. Was hat es damit auf sich?
M. G., Hannover
An der Auskunft ist etwas dran. Aber „berechtigt, das zweite Hochgebet der katholischen Kirche zu benutzen“, ist nicht der richtige Ausdruck. Das gemeinte Gebet geht zurück auf die Kirchenordnung „Traditio Apostolica“ aus den Jahren 210–235. Da dieses Gebet aus der Zeit stammt, als die Kirche noch nicht getrennt war, gehört es der ganzen Kirche.
Das zweite Hochgebet des ordentlichen römischen Ritus, das heute in unseren Gottesdiensten am häufigsten verwendet wird, wurde bei der Liturgiereform 1970 formuliert und eingeführt. Dabei hat die römisch-katholische Kirche den Reichtum der alten Kirche wiederentdeckt und für die neuen eucharistischen Hochgebete auf ganz alte Texte zurückgegriffen.
Das Gleiche hat die evangelisch-lutherische Kirche getan, als sie im Jahr 2000 das neue „Evangelische Gottesdienstbuch“ herausgegeben hat. Es enthält in der Tat ein „Abendmahlsgebet“ oder „Eucharis-tiegebet“, das ebenfalls auf die „Traditio Apostolica“ aus dem 3. Jahrhundert zurückgeht. Nach dem „Geheimnis des Glaubens“, der Bitte um den Heiligen Geist und dem Vaterunser betet der lutherische Liturge: „Wahrhaft würdig und recht ist es, dir, unserm Vater, immer und überall zu danken durch deinen geliebten Sohn Jesus Christus. Er ist dein Wort, ganz eins mit dir. Durch ihn hast du alles geschaffen nach deinem Wohlgefallen. Als die Zeit erfüllt war, hast du ihn gesandt als unsern Heiland und Erlöser. Darum preisen wir dich mit allen Engeln und Heiligen und stimmen ein in das Lob deiner Herrlichkeit:“ – Es folgt das Sanctus. Danach geht es weiter: „Wir loben dich, Gott, und danken dir … (Jesus Christus) ist Mensch geworden durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria. Um deinen Ratschluss zu erfüllen und dir ein heiliges Volk zu versammeln, hat er sterbend am Kreuz die Arme ausgebreitet …“
Andere, neuere Eucharistiegebete der lutherischen Kirche sind ebenfalls von altkirchlichen Texten inspiriert. So haben katholische und evangelische Kirche jeweils für sich einen Teil des liturgischen Reichtums der christlichen Kirche wiederentdeckt.
Roland Juchem