02.01.2013
Über die Ursprünge des Sternsingens
Eine katholische Erfolgsgeschichte
Geschichten über religiöses Brauchtum in Deutschland berichten heutzutage häufig von Rück- und Niedergang. Bei den Sternsingern ist das anders. Begonnen hat deren Geschichte im fernen Indien – glaubt man der Legende.
Linus ist stolz. Der Sechsjährige darf den Stern tragen. Und wie er den trägt. Da kann manch altgedienter Fahnenträger vom Schützenverein sich noch eine Scheibe abschneiden. Die Brust raus, den Stern hoch, steht er vor der Tür. Hinter ihm seine beiden Schwestern und die Nachbarstochter, verkleidet als Kaspar, Melchior und Balthasar. Der Weihrauch duftet, Linus darf die Klingel drücken. Die Sternsinger sind da.
Eine halbe Million große und kleine Linusse sind zurzeit in der ganzen Republik unterwegs. Alle diese Sternsinger schreiben mit an einer Erfolgsgeschichte der katholischen Kirche in Deutschland, die beispiellos und einzigartig ist. Schwung aufgenommen hat die Geschichte im Jahr 1959. 90 Gemeinden beteiligten sich damals an der ersten Sternsingeraktion, die zentral koordiniert wurde. Ergebnis der Sammlung: 95 000 Deutsche Mark. Im vergangenen Jahr waren es über 42 Millionen Euro, mehr als 11 000 Gemeinden hatten mitgemacht.
Das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ organisierte diese erste Sternsingeraktion. Zwei Jahre später stieg der Bund der Deutschen Katholischen Jugend mit ins Boot. Das Hilfswerk, das dem Brauch des Sternsingens seinen organisatorischen Rahmen geben, und ihm damit maßgeblich zum Erfolg verhelfen sollte, hat seinen Ursprung schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Auguste von Sartorius, 15 Jahre alt, fing an, bei Freunden und Verwandten Geld für notleidende Kinder zu sammeln, nachdem sie von der Not vieler Kinder in Afrika und China erfahren hatte. Kurz darauf war der Verein „Das Werk der heiligen Kindheit“ gegründet, der später zum Kindermissionswerk wurde.
„Das Sternsingen – eine Schmarotzerey“
Um zum Ursprung des Brauchs des Sternsingens zu gelangen, gilt es, nochmals einige Jahrhunderte zurück ins ferne Indien zu blicken. Dort soll eine erste Art des Sternsingens stattgefunden haben. Schreibt jedenfalls Johannes von Hildesheim im 14. Jahrhundert, der von einer „Feier des Erscheinungsfestes im Morgenlande“ erzählt. Seine Legendenerzählung über die Weisen diente später als Quelle für zahlreiche Dreikönigsbräuche. Auch dem Sternsingen.
Im späten Mittelalter wird es vielerorts in den Kirchen üblich, die Reise der Heiligen Drei Könige szenisch nachzuspielen. Schon bald zogen Sternsinger auch von Haus zu Haus, um Segenswünsche zu bringen. Als Dank gab es Essen, etwas zu trinken oder Geld. Das gefiel nicht jedem. In einem Innsbrucker Ratsprotokoll 1552 heißt es: „Das Sternsingen soll man nicht gestatten, dieweil es eine Schmarotzerey.“ Doch das Sternsingen überlebte. Erst die Aufklärung sorgte dafür, dass der Brauch durch strengere Verbote immer mehr in Vergessenheit geriet, bis Anfang des 20. Jahrhunderts das Sternsingen regional wiederbelebt wurde.
Anne, die ältere Schwester von Linus, schreibt zum Abschluss noch den Segensspruch an die Tür. Linus steht nach seinem ersten Sternsingereinsatz feierlich daneben. Kann er auch, ist er doch Teil einer beeindruckenden Erfolgsgeschichte.
Von Daniel Gerber