20.03.2012

Hätte Maria auch Nein sagen können?

Wenn Gott Maria schon vor ihrer Geburt als Mutter für seinen Sohn ausgewählt hatte und sie deshalb vorab von der Erbsünde freihielt, wie kann man dann noch ernsthaft annehmen, ihr Ja sei eine völlig freie Entscheidung gewesen, die auch hätte anders ausfallen können?
F. P., Luckau

Durchaus ließe sich folgendermaßen argumentieren: Maria hätte Nein sagen können; sie war ja ein freier Mensch. Sagt aber jemand Nein zu Gottes Willen und handelt gegen diesen, so sündigt er. Hätte Maria also Nein gesagt, hätte sie gesündigt. Vielleicht aber hätte Gott auch Verständnis gehabt, wenn Maria gesagt hätte: Ich kann das nicht. Hätte er sich dann in ihr getäuscht, wie in anderen Menschen, mit denen er Pläne hatte, wie Saul oder David? Es bleiben logische Widersprüche und Mutmaßungen.
Nun ist die Aussage, Maria sei seit ihrer Zeugung ohne jegliche Sünde gewesen, erst im Mittelalter entstanden. Rückblickend versuchten Theologen auf verschiedene Art zu erklären, wie Gott durch Maria Mensch werden konnte. Die gestellte Frage trägt also in das Ereignis in Nazaret etwas hinein, was Maria damals gar nicht bewusst war. Ohnehin lassen sich historische Vorgänge, biblische Aussagen und dogmatische Lehren nicht ohne weiteres vermitteln oder gegeneinander ausspielen.
Kardinal Christoph Schönborn hat in einer Katechese einmal gesagt, „dass durch die Bewahrung von der Erbsünde Maria nicht wählen musste zwischen einem Ja und Nein, sondern sozusagen aus einer für uns unvorstellbaren Freiheit heraus ein ganzes freies Ja gesagt hat“. Und der Weltkatechismus formuliert: Maria „macht sich aus ganzem Herzen, ohne dass eine Sünde sie davon abgehalten hätte, den göttlichen Willen zu eigen …“.
Da treffen Vermutungen über Gottes Gedanken, über das seelische Dilemma Marias und heutige formale Logik aufeinander. Aber bei Gott scheitert manche formale Logik, weil vertrauender Glaube und existenzielle Einsicht als vollste Zustimmung zu Gottes Willen darüber hinausgehen.
Roland Juchem