03.10.2016

Politik erhöht Druck auf die Betreiber von Sozialen Netzen

Kampf gegen Hasspropaganda

In den Sozialen Netzen herrscht mitunter ein rauer Ton. Der Bundesregierung ist diese Entwicklung mehr und mehr ein Dorn im Auge. Auf politischen Druck hin löschte Facebook jetzt erstmals mehr als 100.000 Hassbeiträge innerhalb von nur einem Monat.

Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (Foto: KNA)

Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident und langjähriger Sprecher des Arbeitskreises „Christen in der SPD, hat die Faxen dicke. Im Interview mit dem evangelikalen Medienmagazin pro rechnete er jüngst mit so manchem, aus seiner Sicht fehlgeleiteten Diskurs im Internet schonungslos ab. So seien vor allem in den Sozialen Medien „Bedrohung, Verunglimpfung, die Verbreitung extremistischer Inhalte oder die Androhung von Gewalttaten an der Tagesordnung.“ Die Verletzbarkeit der Würde eines Menschen habe bei Facebook, YouTube oder Twitter eine bislang nicht da gewesene Form erreicht.

"Die Lage ist besser geworden, aber sie ist noch lange nicht gut"

Mit dieser Meinung ist der überzeugte Katholik Thierse längst nicht allein. Erst jüngst formierte sich im Internet die Kampagne "Stoppt Hasspropaganda", die von zahlreichen Politikern und Prominenten unterstützt wird. Da zudem seit einiger Zeit kaum noch ein Tag vergeht, an dem nicht auch Justizminister Heiko Maas die Netzmissstände anprangert, wuchs zuletzt der Druck auf die Provider immens. Eigenen Angaben zufolge will allein das von Mark Zuckerberg gegründete US-Unternehmen Facebook im August mehr als 100.000 sogenannte Hassposting gelöscht haben. Offen ließ Firmensprecher Richard Allan dabei allerdings, wie viele Postings in dem genannten Zeitraum überhaupt beanstandet wurden... Kein Wunder also, dass Maas das Engagement der Anbieter nicht weit genug geht. „Die Lage ist besser geworden, aber sie ist noch lange nicht gut“ sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

Provider nehmen Beschwerden oft nicht ernst

Tatsächlich findet sich im Netz noch immer alles - vom Enthauptungsvideo bis hin zur Bombenbauanleitung - was das tumbe Extremistenherz begehrt. Bereits bei simplen Recherchen, etwa über die AfD oder deutschsprachige Islamisten, bin auch ich in der Vergangenheit bereits eetliche über rassistische Entgleisungen oder offene Gewaltandrohungen gestolpert. Auf meine Beschwerden hat Facebook dabei nicht einmal reagiert. Im Gegenteil. Oft konnte ich die beanstandeten Äußerungen, zweimal auch eindeutig pornografische Fotos, noch Tage später problemlos wiederfinden. „Von den strafbaren Inhalten, die User melden, löschte Twitter gerade einmal ein Prozent, YouTube nur zehn und Facebook 46 Prozent. Das ist zu wenig“, meint Maas. Deswegen drohte er jetzt den Unternehmen – falls sich daran bis Anfang 2017 nicht entscheidend etwas ändere - unverhohlen mit strafrechtlichen Konsequenzen.

Bundesjustizminister Maas auf der Internetseite seines Ministeriums (Bildschrimfoto der Seite www.bmjv.de)

Dabei hatte sich eine Task Force mehrerer Internetunternehmen (darunter auch Microsoft und Google) erst im Sommer darauf verständigt, gemeldete und strafbare Beiträge innerhalb von 24 Stunden von ihren Servern zu entfernen. Das dem nicht so ist, liegt dem Justizminister zufolge (wie der Branchendient heise online berichtete) daran, dass die Provider die Beschwerden von einzelnen, privaten Nutzern oft nicht ernst nähmen. Nur wenn sich Behörden oder Hilfswerke melden, reagieren die Unternehmen offenbar schneller. Einer ersten Bilanz der Organisation jugendschutz.net löschte YouTube dann immerhin 96 Prozent und Facebook 84 Prozent der monierten Beiträge.

Verstärker-Effekt durch sogenannte Algorithmen

Wolfgang Thierse ist neben der Hasspropaganda vor allem der sogenannte Verstärker-Effekt ein Dorn im Auge. Seinen Beobachtungen zufolge (die ich nach ein paar Monaten Aktivität bei Facebook durchaus bestätigen kann) läuft ein Großteil der politischen Kommunikation fast ausschließlich innerhalb von bestimmten "Meinungsgruppen" ab. „Man liest nicht mehr die Zeitung, wo man unterschiedliche Meinungen sieht und auch Informationen erhält, die man gar nicht gewollt hat. In der Ingroup-Kommunikation des Internets ist man unter sich und bestätigt sich wechselseitig. Die Bestätigung der eigenen Meinung, die Reproduktion der eigenen Vorurteile führt oft zu einer Radikalisierung. Das sind gefährliche Entwicklungen, weil Demokratie von der Informiertheit der Bürger lebt und von der Fähigkeit, sich an der politischen Kommunikation zu beteiligen“, sagt Thierse.

Diesen Verstärker-Effekt haben inzwischen die Unternehmen (zumindest indirekt) bestätigt. Vor allem bei Facebook sorgen ausgetüftelte, softwarebasierte Algorithmen dafür, dass die User hauptsächlich Meldungen vorgesetzt bekommen, die ihren jeweiligen Neigungen und Interessen auch entsprechen. Die Unternehmen wollen ihre Kunden schließlich bei Laune halten. Egal ob nun Extremist oder nicht…

Ihr Webreporter Andreas Kaiser