26.05.2015
Kann Jesus sich den Kelch nicht selbst ersparen?
Wenn Jesus Christus „Gott gleich“ und „eines Wesens mit dem Vater“ ist, warum bittet er am Ölberg dann Gott, den „Kelch“ von ihm zu nehmen? Ist Jesus Christus nicht selbst dazu imstande? G. S., 63486 Bruchköbel
Eine knifflige theologische Frage. Tatsächlich war das Gebet Jesu am Ölberg ein Schlüsseltext, mit dem die frühe Kirche versucht hat, die Gestalt Jesu Christi zu verstehen. In seinem Buch „Jesus von Nazareth“ (Band 2) hat Benedikt XVI./Joseph Ratzinger dieser Frage ein eigenes Kapitel gewidmet: „Wer steht sich da gegenüber? Der Vater und der Sohn? Oder der Mensch Jesus und Gott, der dreifaltige Gott?“
Ausgehend von der Bibel, den Gebetstexten der ersten Christen sowie mit Hilfe philosophischer Begriffe haben die Konzilien von Nicäa (325) und Chalkedon (451) festgestellt: Die drei Personen Vater, Sohn und Geist sind eins, in dem einen „Wesen“ Gottes. Zudem sind in Jesus Christus die menschliche wie die göttliche Natur jeweils vollständig gegenwärtig – „unvermischt und ungetrennt“. Das Menschsein Jesu wird durch seine Gottheit nicht geschmälert oder gar absorbiert.
Allerdings führt das zu einem Dilemma: Kann die menschliche Person tatsächlich vollständig neben der göttlichen bestehen, wenn doch der Wille einer Person ihre höchste Ausdrucksform ist? Herrschte in Jesus nur göttlicher Wille, wäre er nicht mehr vollständig Mensch. Gleichzeitig dürfen menschlicher und göttlicher Wille in Jesus „nicht zur Schizophrenie einer doppelten Persönlichkeit führen“.
Benedikt XVI.beantwortet dies so: „Es gibt in Jesus den ‚Naturwillen‘ der menschlichen Natur, aber es gibt nur einen ‚Personwillen‘, der den ‚Naturwillen‘ in sich aufnimmt.“ Und das, ohne den menschlichen Willen zu zerstören, weil der menschliche Wille an sich auf den göttlichen Willen hingeordnet ist.
Am Ölberg erkennt Jesus also, dass er seinen menschlichen Widerstand („Nimm den Kelch von mir“) in den göttlichen Plan einfügen, ihm unterordnen muss. Denn sonst kann er seine Mission nicht erfüllen: freiwillig, im Vertrauen auf Gott und aus reiner Liebe den Tod zu erleiden, um so die Menschheit vom Kreislauf der Gewalt und Schuld zu erlösen.
Von Roland Juchem