07.10.2013

Betroffen sind meist Jugendliche: Jungs zocken, Mädchen chatten eher ...

Knapp 600 000 Deutsche sind onlinesüchtig

Mehr als ein Prozent der Deutschen sind abhängig vom Internet. Dies haben jetzt Forscher der Uni Lübeck herausgefunden. Besonders gefährdet sind demnach Nutzer von sozialen Netzwerken, Onlinespielen sowie Pornografie.

Auf den Schirm fixiert (Fotos: www.drogenbeauftragte.de)

Die Symptome sind fast immer die gleichen. Am Anfang steht der Kontrollverlust. Irgendwann kommen Schlafmangel, sozialer Rückzug sowie körperliche Verwahrlosung hinzu. Bei jedem Versuch aufzuhören oder sich einzuschränken, lauern Entzugserscheinungen wie Angst, Unruhe und oft extreme Gereiztheit. Nein, nicht von Alkohol oder Drogen ist hier die Rede, sondern ganz profan vom Internet.

Mindestens 560 000 Menschen sind inzwischen allein in Deutschland onlinesüchtig. Tendenz steigend. Betroffen sind zumeist Jugendliche oder junge Erwachsene. Während Mädchen von sozialen Netzwerken nicht genug bekommen können, haben Jungs eher Probleme ihren oft exzessiven Spielkonsum auf ein erträgliches Maß runterzuschrauben. Erwachsene, vor allem Männer, dagegen erliegen besonders häufig den Lockungen der Pornoindustrie. Pathologisch krank ist mindestens ein Prozent der Deutschen. Weitere 2,5 Millionen werden als problematische Internetnutzer eingestuft. Dies ist das Ergebnis einer im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellten Studie der Universität Lübeck, die die Bundesdrogenbeauftragte Mechthild Dyckmanns vor kurzem vorgestellt hat.

Psychisch und sozial sind Folgen der Internetabhängigkeit jeder anderen
Suchterkrankung sehr ähnlich

Zwar kann man von einer Internetabhängigkeit, anders als etwa bei einer Drogensucht, nicht unmittelbar sterben. Doch psychisch und sozial sind die Folgen bei jeder Suchterkrankung sehr ähnlich, so berichten Wissenschaftler und Ärzte unisono. Wer vom Netz nicht lassen kann, bei dem geht - ähnlich wie bei einem Alkoholiker oder einem zwanghaften Glücksspieler - bald die schulische oder berufliche Leistungsfähigkeit "den Bach runter". Wer abhängig ist, isoliert sich – je weiter seine Sucht voranschreitet – mehr und mehr gegenüber guten Freunden und Familienangehörigen.

Eine Möglichkeit zu testen, ob man selbst betroffen ist, bietet der Diplom-Psychologe Rolf Merkle auf der Internetseite des Palverlags an. Für all jene, die gerne mehr zum Thema wissen wollen, liefert der ausgezeichnet recherchierte Wikipedia-Beitrag eine gute Basis.

15 Prozent der Jugendlichen sind gefährdet

Drogenbeauftragte: Mechthild Dyckmann

Die Forscher der Uni Lübeck gehen nach der Befragung von rund 15 000 Menschen davon aus, dass mit einer Internetabhängigkeit häufig auch andere psychische Erkrankungen wie Persönlichkeitsstörungen, Impulsivität und Aufmerksamkeitsstörungen verbunden sind. Als abhängig gelten Personen, die täglich vier Stunden und länger im Netz verbringen. Als gefährdet stuft die Drogenbeauftragte bereits Menschen ein, die pro Tag zwei bis drei Stunden aktiv online sind. Dies sind immerhin rund 15 Prozent der 14- bis 16-Jährigen. „Besorgniserregend“ sei dabei, dass es in Deutschland inzwischen genauso viele Internetabhängige gibt wie Cannabiskonsumenten, so Dyckmanns.

Neu ist das Phänomen allerdings nicht. Der Spiegel etwa hat die Internetsucht schon 2007 ausführlich beschrieben. Die nun von der Drogenbeauftragten vorgestellte Studie ist übrigens als PDF-Dokument auf der Webseite der Drogenbeauftragten abrufbar. Dort liegt auch ein Handbuch zur Prävention von Computerspielsucht, Internet sowie Medienabhängigkeit aus. Eine gute Übersicht über Beratungs- und Hilfeangebote für Betroffene bietet die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Auch die katholische Caritas ist längst auf das Thema aufmerksam geworden und hat etliche Berater dafür sensibilisiert. Und nun würde ich – in Anbetracht der Thematik - gerne sagen: Genug im Netz gelesen! Falls Sie gefährdet sind, gehen Sie einfach mal raus an die frische Luft, oder treffen sich mit Freunden. Denken Sie mal in Ruhe über sich nach, und vor allem reden Sie über ihr Problem. Denn oft ist Selbsterkenntnis bereits der erste Schritt zur Besserung.

Ihr Webreporter Andreas Kaiser