05.09.2013
Eine Idee, das Evangelium Menschen zu vermitteln, die bisher mit der Kirche nichts am Hut haben
Lasst uns eine Kirche pflanzen
Europa ist Missionsgebiet. Es gibt einen päpstlichen Rat zur Neuevangelisierung, Exkursionen von Seelsorgeexperten nach Südafrika sowie Kurse für „lokale Kirchenentwicklung“. Über den Ärmelkanal kommt eine weitere Idee: „fresh expressions of church“.
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Einladend, zeitgemäßes Ambiente und gastfreundliche Atmosphäre: Das sind augenfällige Merkmale neuer Formen von Kirche. |
Seit knapp zehn Jahren sind solche „frischen Formen, Kirche zu leben“ eine wesentliche Antwort der anglikanischen Kirche auf die schrumpfenden Pfarreien. Die Leitfrage hinter den „frischen Kirchenformen“ oder „Kirchenpflanzungen“ lautet: Wie kann es gelingen, dass wir das Evangelium für jede Generation, jedes Milieu, jedes Lebensalter, jede religiöse und nichtreligiöse Biografie, für Akademiker und Arbeiter verständlich machen und bedeutsam erscheinen lassen?
Wozu ist die Kirche überhaupt da? „Sie soll den Menschen einen Vorgeschmack auf das Reich Gottes geben“, sagt Bischof Graham Cray von Maidstone/England, maßgeblich an der Idee der „fresh expressions“ beteiligt. „Kirche ist etwas, das geschieht: Menschen begegnen Jesus und bilden eine Gemeinschaft mit ihm. Diese Gemeinschaft aber kann viele Formen und Stile entwickeln.“ Daher spricht das Grundsatzdokument, das 2004 den Startschuss zu dieser ökumenischen Missionsinitiative gab, von einer „mission-shaped church“, von einer Kirche, die vor allem geprägt ist durch die Art, wie sie Gottes Wort glaubwürdig vermitteln kann.
Damit aber ist der Weg frei, ganz neue Dinge auszuprobieren, um das Evangelium an den Mann und die Frau zu bringen. Ob sich eine neue Gemeinschaft um eine Kneipe oder ein Kino bildet, in einem Wohnzimmer, in einer Kapelle oder einem Kindergarten trifft – das ist erst einmal egal. „Die neue Glaubensgemeinschaft“, so Cray, „wendet sich an jene, die die traditionelle Art der Seelsorge nicht mehr erreicht. Gegründet zum Wohl jener, die in keine Kirche gehen – ob sie nun getauft sind oder nicht.“
Hauptsache, es wird gewagt und gesät
Die meisten neuen „Kirchenpflanzungen“ werden von Laien vorgenommen; die sind allerdings eigens geschulten Priestern verantwortlich. Und alle Initiativen beruhen jeweils auf „bischöflichen Missionsaufträgen“. 2010, sechs Jahre nach dem Startschuss, gab es bei Anglikanern und Methodisten 2000 solcher neuartiger Gemeindeformen. „Das bedeutete, dass sich 60 000 zusätzliche Menschen in der Kirche engagiert hatten, die das sonst nicht getan hätten“, fasst Cray zusammen.
Auch wenn manche Pflanzung nach einiger Zeit wieder eingeht oder aus einer Idee etwas anderes erwächst, als geplant: Hauptsache, es wird gewagt und gesät. Ob Kneipe, Kindergarten, Kulturcafé, Wärmestube, Jugendkirche, Wallfahrtskirche oder traditionelle Pfarrei – keine Form ist mehr oder weniger wert als eine andere. Rowan Williams, früherer Erzbischof von Canterbury, prägte den Ausdruck der „mixed economy“, der Mischwirtschaft, in der traditionelle Pfarreien neben den neuen Gemeindeformen bestehen und leben.
Von Roland Juchem