09.01.2013

Auf einer Internetseite werden die letzten Worte von Hingerichteten veröffentlicht

"Nimm mich auf bei Dir, Gott"

Es sind erschütternde Dokumente. Der US-Bundesstaat Texas veröffentlicht im Internet die letzten Worte von Hingerichteten. Viele beten, fast alle sprechen von Liebe. Jeder zehnte beteuert seine Unschuld. Nach Jahren im Todestrakt haben die meisten Verurteilten auf ihrem letzten Weg mit dem Leben längst abgeschlossen.

Polizeifotos von Marvin Wilson (veröffentlicht auf der
Seite "Todestrakt" der texanischen Justizbehörde)

Erst wendet sich Marvin Wilson mit wenigen eindringlichen Worten an seine Familie, spricht von Liebe. Dann betet er: „Führe mich nach Hause, Jesus. Nimm mich auf bei Dir, Gott.“ Ganz am Schluss, bevor sich seine Augen für immer schließen, sagt er: „Ich bin bereit“. Auf der Internetseite „death row“, zu Deutsch Todestrakt, der texanischen Justizbehörde trägt Wilson die Nummer 484. Weil Wilson als geistig behindert galt, war seine Exekution besonders umstritten und hatte vor wenigen Wochen weltweit für Aufsehen gesorgt.

Durchschnittlich alle 23 Tage wird im Gefängnis Huntsville ein Mensch mit der Giftspritze getötet. Auch wer der Nächste sein wird, ist in der Rubrik „Scheduled Executions“ nachzulesen. Unter dem Stichwort „Offender Information“ werden zudem die Fotos sämtlicher Todeskandidaten abgelegt, sowie die Tatvorwürfe ins Netz gestellt.

Dokumente großer Verzweiflung: Alle 23 Tage eine Hinrichtung

Erschütternde Dokumente auf der vordergründig eher
schmucklosen Internetseite "Death Row"

Mit mehr als 480 Hinrichtungen wurden in Texas seit dem Ende des Hinrichtungsmoratoriums im Jahre 1976 so viele Todesurteile vollstreckt wie in sämtlichen sechs anderen US-Bundesstaaten zusammen, in denen es noch die Todesstrafe gibt.

So erschütternd die Dokumente beim ersten Lesen auch sind, so weisen die letzten Worte oft große Gemeinsamkeiten auf. Irgendwann klingen sie „fast wie eine Stimme“, sagt der US-Journalist Jon Millward. Auffällig ist, dass die meisten Verurteilten am Ende versöhnliche Worte finden. Auch gegenüber den Angehörigen ihrer Opfer. Viele hoffen auf Gott und Christus. 2008 sang Alvin Kelly Gospellieder, bis seine Stimme schließlich leise verebbte. „Das Wort, das texanische Mörder unmittelbar vor dem letzten Atemzug am häufigsten aussprechen, ist 'Liebe'. Das zweithäufigste Wort lautet 'Familie', dann 'Dank'", sagt Millward. Oft werden die Straftäter bei ihrem letzten Gang von ihren Angehörigen hinter einer Glaswand beobachtet, begleitet. Die relativ große Gefasstheit, in der viele Todeskandidaten ihre letzte Lebensstunde begehen, hat wohl etwas mit der langen Vorbereitungszeit zu tun. Durschnittlich elf Jahre dauert es, bis ein Urteil vollstreckt wird.

Plädoyer gegen Todesstrafe: "Hass ist keine Lösung"

 

 

"Ich bin nicht bereit zu gehen" (Raymond Kinnamon)

Doch nicht alle nehmen ihren Tod so friedvoll hin wie Wilson. Roy Pippin etwa, der im Streit um Geld zwei Menschen erschossen haben soll, legte ein paar Stunden vor seiner Hinrichtung sogar ein Feuer in seiner Zelle. Ähnlich wie James Jackson 2007 blaffte er seine Scharfrichter zum Schluss an: „Wir sehen uns drüben. Los, Aufseher, ermorde mich.“ Ein Dokument großer Verzweiflung sind die letzten Worte von Raymond Kinnamon im Jahr 1994. Nach einem Plädoyer gegen die Todesstrafe, betonte er gleichwohl, dass er keine Rachegedanken hege, weil „Hass niemals ein Problem löst“. Nach Grußbotschaften an seine Familie sagte er noch: „Ich bin nicht bereit zu gehen, aber ich habe keine Wahl.“

Zwei von zehn Straftätern bleiben in der Todeszelle stumm. Erschreckend ist, dass etwa jeder zehnte Todeskandidat bis zum Schluss seine Unschuld beteuert. „Es ist schlimm, einen Mann für etwas sterben zu sehen, das er nicht getan hat“, sagte 2008 Elkie Taylor. Seine Familie forderte er aber auf, sich keine Sorgen zu machen. „Ich gehe heim. Ich hoffe, Euch alle eines Tages wiederzusehen.“

Ihr Webreporter Andreas Kaiser