22.06.2012

Kommentar

Ob klug oder unklug

Von Daniel Gerber

Kairos, so heißt in der griechischen Mythologie die Gottheit des günstigen Zeitpunkts. Den zu finden ist ziemlich schwierig für uns Menschen. Sonst hätten die alten Griechen ihn wohl auch kaum als Gottheit verehrt. Auch im Erzbistum Freiburg stellt sich gerade die Frage nach dem Kairos. Vor allem bei jenen 200 Freiburger Priestern und Diakonen, die eine Erklärung veröffentlicht und unterzeichnet haben, in der sie eine Neuregelung im Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen einfordern. Und in der sie gleichzeitig eingestehen, dass sie oft gegen kirchenrechtliche Bestimmungen verstoßen. Aber war jetzt der richtige Zeitpunkt für ihr Anliegen gekommen? Und dann noch in dieser Form?

Klar ist, die entstandene Situation ist für das Erzbistum Freiburg nicht einfach. Ganz im Gegenteil. Es ist sehr kompliziert. Einmal für Erzbischof Robert Zollitsch. Der hat bekanntlich mehrfach – ob vor dem Papstbesuch oder beim Katholikentag – betont, dass er sich einen barmherzigeren Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen wünschen würde. Und er hatte angekündigt, wie andere Bischöfe auch, das Thema auf die Tagesordnung der Bischofskonferenz zu nehmen. Zwei, die eigentlich die gleiche Meinung haben, stehen sich jetzt gegenüber. Und dass, obwohl sie sich eigentlich für ihr Anliegen zusammen tun müssten. Druck erzeugt Gegendruck. Und der Gegendruck seitens der Bischöfe, die Neuregelungen ablehnen, wird jetzt sicherlich größer. Der Sache, dass die Kirche Barmherzigkeit gegenüber Gescheiterten walten lassen müsste, hilft das nicht.

Unabhängig von der Frage, ob der Zeitpunkt für die Erklärung strategisch klug gewählt war, sollte man den Unterzeichnern jedoch eines zollen: Respekt. Denn sie beweisen großen Mut. Mut, den sich mancher Gläubige wohl auch öfter von seinen Oberhirten wünschen würde. Diese Pfarrer wählen keinen leichten Weg. In ihrer Erklärung betonen sie, dass pastorale Realität und pastorale Norm auseinanderdriften. Diesen Spagat leben sie täglich. Unsereins, der kein Pfarrer, kein Diakon ist, kann es sich wohl nur schwer vorstellen, was es bedeuten muss, wenn man täglich barmherzig handeln will und dies auch tut. Aber andererseits weiß: „Ich darf das nicht.“ Eigentlich hätten sie ja alle einfach so weitermachen können wie bisher. Und sich einfach nicht scheren um die kirchlichen Normen. Doch das wollen sie nicht mehr. Womöglich können es manche auch nicht mehr. Zu groß ist irgendwann der emotionale Druck und das Wissen darum, dass es so nicht weitergehen darf. Dann wälzt man auch nicht die Frage nach dem günstigen Zeitpunkt. Dann wird einfach gehandelt. Ob strategisch klug oder unklug.