25.10.2012

Vereinsamung und Sinnfragen treiben immer mehr Menschen zur Internetseelsorge. Christliche Beratungsangebote sind oft überlastet

Seelsorge per Chat: Geht's noch?

Seit Jahren haben Seelsorge-Angebote der Kirchen - vor allem bei jungen Menschen - großen Zulauf. Die evangelische Theologin Sabine Bobert stilisierte das Internet sogar schon zum „Pfarrhaus des 21. Jahrhunderts“. Doch Zweifel an der Verlagerung von Glaubensgesprächen und geistlicher Begleitung ins Virtuelle scheinen angebracht.

Das Internet, die neuen Medien nehmen im Leben junger Menschen einen immer größeren Stellenwert ein. Immer mehr Kids scheinen heute ohne Smartphone, iPad oder Spielkonsole kaum noch lebensfähig. Nimmt man ihnen den elektronischen Schnuller eine Weile weg, stellen sich in kürzester Zeit manifeste Entzugserscheinungen ein. Das Leben findet vor allem virtuell statt. Dies schlägt sich längst auch bei der Internet-Seelsorge nieder, wie Uwe Holschuh, der Diözesanbeauftragte für Internetseelsorge des Bistums Würzburg sagt. Vor 15 Jahren noch gnadenlos belächel, hätten sich die Internetpräsenzen der großen Kirchen, so die evangelische Theologin Sabine Bobert, zu einem „Pfarrhaus des 21. Jahrhunderts“ entwickelt. Die Folge: Immer öfter ist die Internet-Seelsorge, die genau wie die reale Kirche an Geld- und Personalnot leidet, hoffnungslos überlastet. Im manchen Monaten beispielsweise konnten die Seelsorger vom ehemaligen Kummernetz.de nur 40 Prozent der Anfragen bearbeiten.

Alles ist möglich: Von der Online-Fürbitte bis zum seelsorglichen Einzelkontakt
 

Alle Beratungsangebote jetzt unter einem neuen, gemeinsamen Dach!

Unter der Adresse www.internetseelsorge.de hat die katholische Kirche vor einiger Zeit ihre zuvor recht unübersichtlich verstreuten Seelsorge-Angebote zusammengefasst. Von dem neuen Portal aus sind unterschiedliche Angebote - von der Online-Fürbitte bis hin zum seelsorglichen Einzelkontakt, Internet-Exerzitien und spirituellen Impulse, Chat-Gottesdiensten und Trauer-Portalen – prima zu erreichen.

Beziehungsprobleme, Vereinsamung oder Sinnfragen

Auffällig bei der Internetseelsorge aber ist vor allem, welche Themen da - in den moderierten Foren, den anonymisierten Kopf-an-Kopf-Live-Chats oder per eMail mit dem Berater – verhandelt werden. Fast immer geht es um Beziehungsprobleme, Vereinsamung oder Sinnfragen, sagen die Berater. Doch sind nicht genau das die fast schon logischen Folgen einer Verlagerung des Lebens ins Virtuelle? Gott hat uns Menschen nun einmal einen kompletten Leib mit auf den Lebensweg gegeben. Mehr als nur den Daumen, um das Smartphone zu bedienen. Für mich persönlich ist Glauben und Religion ohne Gemeinschaft, ohne die vielen kleinen, oft liebevollen, manchmal auch herausfordernden Begegnungen von Mensch zu Mensch schlicht nicht möglich.

Menschliche Begegnungen auf der Mattscheibe des iPads?

Nun, ausgerechnet in Zeiten von zunehmender Vereinsamung und Onlinesucht auch die Seelsorge mehr und mehr ins Internet zu verlagern,mag vielleicht ein Erfordernis der Zeit sein, wie die Befürworter argumentieren. Doch auf den zweiten Blick wirkt das Ganze eher wie die Verlagerung eines Treffens der Anonymen Alkoholiker in die Eckkneipe. Wir alle ahnen es: Eine wirklich berührende, vielleicht sogar heilsame menschliche Begegnung findet nicht auf der Mattscheibe eines iPads statt.

(K)ein Ersatz für das persönliche Gespräch?

Die „deutlichen Grenzen“ der Online-Beratung haben – Gott sei Dank - auch deren Macher erkannt. Die Seelsorge via Chat oder eMail könne langfristig kein Ersatz für das Gespräch von Angesicht zu Angesicht sein und soll bestenfalls begleitend erfolgen. Seriöse Internetseelsorger wie die von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Onlineberatung (bei der selbstverständlich auch die katholischen Berater involviert sind) beschränken ihren Einsatz in der Regel auf den Austausch von fünf E-Mails. Und so schlimm sich im Einzelfall eine Krise auch anfühlen mag, so ist sie fast immer auch eine Chance, um endlich aus seinen alten Mustern auszubrechen.

Also liebe Konsolenkids: Geht raus! In echte Leben. Das aufmunternde Lächeln eines geistlichen Begleiters oder die warmherzige Umarmung eines guten Freundes gibt’s nicht per SMS oder am PC. Und noch was: Ein regelmäßiges Gebetsleben macht natürlich mehr Mühe als ein schneller Klick ins Internet. Aber dafür hält es auch länger!

Ihr Webreporter Andreas Kaiser