06.11.2012

Pro & Contra

Trauern im Internet – geht das?

Immer mehr Hinterbliebene zieht es mit ihrer Trauer ins Netz. Auf Onlinefriedhöfen entzünden sie virtuelle Kerzen, posten Nachrufe auf Facebook. Doch Trauern im Internet – geht das? Eine Kontroverse ...

PRO von Ulrich Waschki:

Ich wollte hören, wie ein bestimmtes Segenslied klingt und suchte auf Youtube nach einer Aufnahme eines Chores. Zufällig stieß ich dabei auch auf Videos, die Eltern nach dem Tod eines Kindes erstellt hatten. Zur Trauerbewältigung. Diese Filme haben mich tief berührt, haben mich mitleiden lassen mit den verwaisten Eltern, soweit das überhaupt geht, wenn man nicht selbst von einem solchen Schicksalsschlag betroffen ist.

Zugegeben, meine Sache ist die öffentliche Trauer im Internet nicht. Auch mir liegt eher der Gang in die Kirche oder auf den Friedhof, das stille Gebet und Andenken beim Spaziergang und im Gespräch mit anderen. Aber viele, vor allem jüngere Menschen, leben heute online: Sie treffen ihre Freunde im Netz, unterhalten sich über den Computer, stellen ihre Urlaubsbilder online. Da ist es nur konsequent, wenn sie auch ihre Trauer im Internet verarbeiten. Selbst produzierte Filme auf Youtube, Webseiten als Erinnerung oder elektronische Kondolenzbücher sind die Chance, etwas zum Ausdruck zu bringen, was schwer ausgedrückt werden kann.

Gerade die Unpersönlichkeit des Netzes hilft vielleicht manchen, etwas so Persönliches wie Trauer auszudrücken. Auch bietet das Netz die Chance, mit Menschen zu trauern, die weit entfernt leben. Natürlich ist Vorsicht geboten: Viele Geschäftemacher wollen mit der Trauer Geld verdienen. Einmal online gestellt, lässt sich die öffentliche Trauer schwer wieder entfernen. Und: Ein Film auf Youtube ersetzt keine tröstende Umarmung.

 

CONTRA von Daniela Elpers:

Wenn Menschen ihren schmerzlichen Verlust und ihre Gefühle in einem öffentlichen Forum wie Youtube, Facebook und Co. preisgeben, hilft ihnen vielleicht die Unpersönlichkeit des Internets, doch sie setzen sich damit auch dem hohen Risiko aus, verletzt zu werden. Unangebrachte Kommentare zum Beispiel unter Youtube-Videos sind zwar selten, kommen aber vor. Möchten Trauernde dann wirklich lesen, dass ihre Freundin, Tochter oder Enkelin nicht überall beliebt war, oder dass der selbst geschriebene Rap für die verstorbene Freundin „echt der letzte Dreck“ ist?

Eine weitere Frage ist auch, ob Eltern damit einverstanden sind, wenn Freunde ein solches virtuelles Vermächtnis anlegen. Vielleicht finden sie diese Art von Trauer unangebracht und anstatt für Trost sorgt das Video für verletzte Gefühle. Die Trauernden dürfen auch in keinem Fall den Bezug zur Realität verlieren. Denn die ist im Hier und Jetzt, draußen auf der Straße, in Bussen oder Geschäften – aber niemals im Internet. Natürlich hat jeder seine eigene Art zu trauern, aber kann ein schmerzlicher Verlust allen Ernstes vor dem Computerbildschirm verarbeitet werden?

Vielleicht ist das Anzünden einer Kerze in der Kirche oder auf dem Grab traditionell und vielleicht wachsen viele junge Menschen mit dieser Art der Verarbeitung nicht mehr auf. Aber das Auf-den-Weg-Machen zum Friedhof, das Sich-Zeit-Nehmen, das Innehalten und die Kerze auf dem Grab sind ein ehrlicheres Zeichen von Schmerz, Verlust und Trauer als ein Mausklick im Internet.