19.08.2014

Kommentar

Von Wange bis Waffe

Von Susanne Haverkamp

Die Situation der Verfolgten im Irak ist unvorstellbar grausam, und einig sind sich alle in der Verurteilung der Terroristen der Gruppe „Islamischer Staat“ (IS). Egal ob Politiker oder Kirchenleute: Alle fordern einmütig ein sofortiges Einstellen der Gewalt und verstärkte humanitäre Hilfe.

Uneinig ist man sich hingegen in allem, was darüber hinausgeht, vor allem in der Frage: Soll man Waffen liefern an die kurdischen Gruppen, die Widerstand gegen die IS leisten? Ja, sagen die einen. Joschka Fischer etwa bringt es griffig auf den Punkt. Waffen seien jetzt nötig, denn eine Terrororganisation wie die IS könne man „weder mit Gebetskreisen noch mit Spruchbändern stoppen“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Und Rupert Neudeck betonte am Rande einer Veranstaltung von Jesiden, er habe das bisher noch nie gesagt, sei aber nun davon überzeugt, dass nur Waffenlieferungen im Augenblick helfen könnten.

Andere warnen davor, noch mehr Waffen in Krisenregionen zu bringen. Aus ihrer Sicht sei nicht absehbar, was mit ihnen in Zukunft geschieht, wo und gegen wen sie demnächst eingesetzt werden, denn der Weiterverkauf von Waffen sei nicht zu kontrollieren. „Wir stellen fest“, warnt Michael Brozka, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, „dass deutsche Waffen in vielen Konflikten der Welt auftauchen, etwa auch im Südsudan, obwohl da nie Waffen hingeliefert worden sind“. Lieferungen würden deshalb mehr schaden als nützen.

Und die Christen? Die sind sich genauso wenig einig. Das Spektrum reicht von radikalen Pazifisten die auf Jesu Weisung von der „anderen Wange“ hinweisen, über Theologen, die Luftschläge der Amerikaner begrüßen, aber Waffenlieferungen ablehnen bis zum Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche in Deutschland, Martin Dutzmann, der meint, in Abwägung von drohendem Genozid und unkontrollierbaren Waffengebrauch würde sich für ihn die Waagschale in Richtung Waffen neigen.

Hier zeigt sich das Grundproblem christlicher Ethik: Die Situationen sind so komplex, die Probleme so vielschichtig, dass es die eine und einzige christliche Antwort nicht gibt. Christliche Ethik heißt: Verantwortung übernehmen, auch wenn nicht alle Konsequenzen abzusehen sind; abwägen zwischen verschiedenen wichtigen Gütern; Respekt haben vor allen, die als Christen Entscheidungen treffen – auch wenn man selbst anders entschieden hätte. Das macht die Sache schwierig. Aber einfache Antworten sind selten besser – wie man an Fundamentalisten sieht.