29.10.2013
Warum einen Umweg über Heilige nehmen?
Sind Heilige wirklich Vorbilder? Und warum sollen wir zu ihnen beten? Jesus hat uns doch gesagt, wir könnten uns direkt an Gott wenden.
W. S., T.
Heilige sind auch Vorbilder – jedoch nicht für alles, was sie in ihrem Leben gemacht haben. „Nobody is perfect“ – auch die Heiligen nicht. Der heilige Petrus hat Jesus verraten – sicher kein vorbildhaftes Verhalten. Aber er hat es bereut, sich später zu ihm bekannt, hat das Evangelium verkündet und ist als Märtyrer gestorben. Das sind eher vorbildhafte Verhaltensweisen.
Grundsätzlich nennt die Bibel alle Menschen, die sich zu Christus bekennen, „Heilige“. „An alle in Rom … an die berufenen Heiligen“, beginnt Paulus seinen Brief an die Christen in der Hauptstadt des Reiches. Später werden mit „Heilige“ Christen bezeichnet, die besonders engagiert, besonders fromm, besonders weise sind – und solche, die bereits gestorben und – so der Glaube der Hinterbliebenen – schon bei Gott sind.
Mit ihnen fühlen sich die Christen, die noch auf dieser Erde weilen, verbunden: vor allem im Gottesdienst, der diese Gemeinschaft von Erde und Himmel abbildet. „Wir sind eine Gemeinschaft, ob auf Erden oder im Himmel/bei Gott“, lautet das Selbstverständnis der Christen.
Natürlich – eine von Jesu wesentlichen Botschaften lautet: Jederzeit kann jeder Mensch sich auf seine Weise an Gott wenden, an den gütigen, barmherzigen Vater im Himmel. Im Laufe der Jahrhunderte, als Gott mitunter immer weiter entrückt schien, fiel es Menschen leichter, sich über jene an ihn zu wenden, die näher bei ihm sind: die Heiligen. Vielleicht auch in der Meinung, dieser Teil der christlichen Verwandtschaft habe bessere Kontakte zu ihm als „wir armen Sünder“.
Seit Reformation und Aufklärung hat sich das gewandelt. Wir Christen denken individueller – und erinnern uns neu der erwähnten, aber nie ganz vergessenen Botschaft Jesu, dass jeder sich direkt an Gott wenden kann. So bleibt es in unserer gesamtchristlichen „Familie der Heiligen“ jedem selbst überlassen, ob er Gott direkt anspricht oder das über einen anschaulicheren, vertrauten „Verwandten“ tut.
Roland Juchem