09.02.2012
Warum „Heiliger Vater“, wenn Jesus es doch verbietet?
Wie lässt sich die Bezeichnung „Papst“ (lateinisch Papa – Vater) und die Anrede „Heiliger Vater“ für den jeweiligen Verwalter des Petrusamtes mit dem Evangelium Matthäus 23,8–12 vereinbaren? Wie ernst ist das zu nehmen, was dort geschrieben steht? Wie ist es denn richtig?
W.B., Heiligenstadt
Einerseits könnte man sagen: Da hören Katholiken mehr auf die Tradition oder das kirchliche Protokoll als auf Jesus Christus. Bei einem wortwörtlichen Verständnis seiner Worte wäre das auch der Fall. Tatsächlich ist die Sache aber komplexer. Keiner würde ja Jesus so interpretieren, dass auch Kinder ihre Erzeuger nicht „Vater“ nennen sollen.
In der Kirche werden auch viele andere Männer „Vater“ genannt. Nicht nur der Bischof von Rom in der Anrede „Heiliger Vater“, schon das Wort „Papst“ leitet sich über Umwege in Ägypten (appa, pappas) ab vom syrisch-aramäischen „abba“ (Vater). Auch das Oberhaupt der koptischen Kirche heißt Papst.
Ordenspriester werden im Deutschen mit dem lateinischen Wort „Pater“ (Vater) angeredet. In der englischsprachigen Welt heißt jeder Priester „Father“, in Spanien und Italien „Padre“. Bereits in der ganz frühen Kirche wurden die ägyptischen Wüsten-mönche bezeichnet mit „Altvater“. Später nannte man die bekanntesten dieser Mönche „selige“ oder gar „heilige Väter“.
In all den Fällen ging und geht es um eine Art väterlicher (Für-)Sorge im übertragenen Sinne. Schon die ersten Christen haben Jesus Mahnung nicht wortwörtlich verstanden. So schrieb Paulus an die Korinther: „In Christus Jesus bin ich durch das Evangelium euer Vater geworden“.
Als Jesus die religiösen Autoritäten seiner Zeit kritisiert und seinen Jüngern neue Regeln gibt, will er Folgendes sagen: Das tatsächliche Verhalten ist wichtiger als protokollarische oder hierarchische Traditionen. Der Meister, Lehrer und Vater, auf den es für euch letztlich ankommt, ist Gott im Himmel. An ihn haltet euch, an ihn wendet euch.
Jesus empfiehlt seinen Jüngern also genau jenes unmittelbare und vertrauensvolle Verhältnis zu Gott, aus dem er selbst lebt. Demgegenüber sind menschliche Hierarchien nicht sinnlos, aber doch zweit- oder drittrangig. Daran müssen sich Christen und die Kirchen – nicht nur die katholische – immer wieder mal erinnern lassen.
Roland Juchem