08.05.2013
Kommentar
Was ich brauche ...
Von Roland Juchem
Der Evangelische Kirchentag in Hamburg trug das Motto „Soviel du brauchst“. Es stammt aus dem Buch Exodus: Die Israeliten leiden Hunger in der Wüste; da sorgt Gott dafür, dass sie zu essen haben. Abends lassen sich Wachteln im Lager nieder, morgens finden die Israeliten Manna. Damit ist ausgesorgt.
„Soviel du brauchst“, gilt zweifach: Gott gibt den Menschen, so viel, wie sie brauchen; sie sollen sich aber auch nur so viel nehmen, wie sie brauchen.
Weil der Mensch aber Mensch ist, nehmen manche Israeliten mehr als sie brauchen. Sie horten Manna über den Abend hinaus; da wird es „wurmig und stinkt“. So geht es den meisten: Das, was der Mensch wirklich braucht, weiß er nicht so genau. Geschweige denn, was der andere braucht. Und so nehmen einige viel, andere wenig. Mit der Folge, dass das, was zu viel ist, verdirbt. Der Charakter übrigens auch. So musste in diesen Tagen das Kirchentagsmotto schon herhalten für Kommentare zur Affäre um Uli Hoeneß, die bayerischen Landtagsabgeordneten, Managergehälter und Mindestlöhne.
Da ist etwas dran: Erhalten Paketboten bei Hermes, Versandarbeiter bei Amazon und Menschen in anderen Niedriglohntätigkeiten wirklich das, was sie brauchen? Von den Näherinnen in Bangladesch und Guatemala ganz zu schweigen. Erhalten umgekehrt Spitzenverdiener in Unternehmen das, was sie wirklich brauchen? Oder verdirbt ihr Überschuss – wie das Manna?
„Soviel du brauchst“ heißt „genug“. Aber was ist genug? Damit lässt sich trefflich debattieren und streiten, kleinreden und kritisieren. Das ist die Schwäche mancher Worte aus der Bibel: Sie sind unkonkret, lassen sich anwenden auf alles und nichts, jeden und niemanden.
Wenn ich mir solche Worte aber zu eigen mache und gewissenhaft bedenke, entdecke ich ihre Wahrheit und Stärke. Dann entfalten sie Kraft, machen bewusst, worauf es wirklich ankommt. „Nimm so viel, wie du brauchst, denn Gott gibt dir so viel, wie du brauchst.“ Zu solch vertrauensvoller Lebensmaxime könnte man seinen persönlichen Einkehrtag halten.
Und der kann sogar gesellschaftskritisch werden: Wenn jeder nur so viel kauft, wie er braucht, bricht unser Wirtschaftssystem zusammen. Das lebt davon, das wir mehr kaufen, als wir brauchen. In diesem System ist es unsere wichtigste Aufgabe, Verbraucher zu sein. Da brauchen wir nicht, da verbrauchen wir. Aber was antworte ich dann auf die Frage nach der Bilanz meines Lebens? – „Herr, ich habe verbraucht …“