20.12.2012

Welches Gesetz soll Christus aufgehoben haben?

Von welchem Gesetz ist im Epheserbrief die Rede, wenn es dort heißt: „Er (Christus) hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf“?
R. S., Dresden

Laut dem Matthäusevangelium sagte Jesus eindeutig: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben“ (Mt 5,17). Der Verfasser des Epheserbriefes hingegen, ob Paulus oder einer seiner Schüler, behauptet: „Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf“ (Eph 2,15). In dieser Form widersprechen beide Aussagen einander.
Dass Jesus das komplette Gesetz, also die Tora, aufgehoben hat, etwa auch die Zehn Gebote, meint der Epheserbrief nicht. Aber er spiegelt die Auseinandersetzung zwischen dem jungen Christentum und der jüdischen Religion. Dabei lautete eine der wichtigsten Fragen: Wie wichtig ist die Tora zum Heil auch nichtjüdischer Christen?
Paulus hat immer betont, dass der Mensch nicht allein dadurch vor Gott gerechtfertigt ist, dass er die Gebote des Gesetzes einhielt. Das Entscheidende für Paulus ist der Glaube an Jesus Christus: Wer sich Christus anvertraut und so lebt, wie er es vorlebte und lehrte, erfüllt die eigentlichen, inneren Anliegen der Tora.
Daher hat nach Paulus’ Sicht Jesus die formale Erfüllung des Gesetzes als notwendige Bedingung für das Heil aufgehoben. Damit nahm Paulus sich auch die Freiheit, die Anliegen Jesu in seinem Sinne zu interpretieren und hat so den christlichen Glauben zukunftsfähig gemacht, ohne die jüdischen Wurzeln zu verleugnen.
Roland Juchem