13.11.2012
Kommentar
Rechten zuvorkommen
Von Ulrich Waschki
Beunruhigende Zahlen: Fast jeder zehnte Deutsche hat ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild – hält Deutschland und seine Bewohner für überlegen, will einen starken Führer, ist ausländerfeindlich und antisemitisch. In Ostdeutschland ist der Anteil dieser Mitbürger sogar noch höher – er liegt bei fast 16 Prozent. Tendenz steigend.
Die Forscher der Friedrich-Ebert-Stiftung, die diese Ergebnisse jetzt vorgelegt haben, warnen: In Ostdeutschland sind es vor allem jüngere Menschen, die rechtes Gedankengut teilen. „Hier wächst eine Generation heran, die alle bisherigen Gruppen in ihrer rechten Einstellung zu überbieten droht.“ Schriller können Alarmglocken nicht klingen. Oder um mit Brecht zu sprechen: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Wer geglaubt hat, Naziparolen und rechter Terror seien ein Problem der Nachwendephase, irrt. Rechtsextremismus pflanzt sich offenbar fort.
Die Studie zeigt auch, warum solche Einstellungen wachsen: Es ist die Angst vor der eigenen Zukunft. Soziale Unsicherheit, das Gefühl, abgehängt zu sein von der wirtschaftlichen Entwicklung. So dürften die ostdeutschen Ergebnisse in strukturschwachen ländlichen Regionen Westdeutschlands ähnlich ausfallen.
Doch im Osten sind es besonders viele Regionen, die abgehängt zu sein scheinen. Fitte Jugendliche verlassen ihre Heimat, gehen in die Boom-Regionen. Viele der jungen Leute, die bleiben, fühlen sich als Verlierer. Denen rechte Rattenfänger eine Perspektive bieten, indem sie ihnen vorgaukeln, dass sie durch ihr deutsches Blut besser sind als andere, indem sie Schuldige für staatliche Finanzknappheit präsentieren – nämlich Ausländer, die angeblich das Sozialsystem ausnutzen. Dabei ist die Ausländerfeindlichkeit da besonders hoch, wo es keine Ausländer gibt. Was wir nicht kennen, fürchten wir.
Mit juristischen und polizeilichen Mitteln gegen rechte Gruppen vorzugehen, ist notwendig. Doch der Schlüssel gegen rechtes Gedankengut sind Bildung und soziale Sicherheit. Wichtig auch, dass Kirchen, Wohlfahrtsverbände und nicht zuletzt der Staat Menschen in sozialer Unsicherheit nicht alleinlassen. Die Mitte der Gesellschaft darf den Rechten keinen Platz lassen: Es kann nicht sein, dass rechte Gruppen „Glühwein vor dem Plattenbau ausschenken“, wie ein Pfarrer berichtet. Oder Hartz-IV-Empfängern mit Beratung und Hilfe zur Seite stehen. Praktizierte Nächstenliebe? Das ist unser Auftrag. Gerade wir Christen sollten den Rechten zuvorkommen.