26.11.2013
Advent in Polen
Die Zeit des spärlichen Lichts
In der Lesung ruft Paulus die Römer zu maßvollem Leben auf, zur Umkehr. So sollen sie sich auf die Wiederkunft Christi vorbereiten. Die Kirche stellt diese Mahnung an den Anfang des Advents. Polen verstehen das besser als viele Menschen hierzulande. Der Advent bedeutet für viele unserer Nachbarn zu warten, zu verzichten, zu beten.
In Polen leuchtet bereits am letzten Novembertag ein Funke der Weihnachtszeit. Denn für Waldemar Styra gibt es zwei Vorboten der weihnachtlichen Freude: den heiligen Nikolaus und noch knapp eine Woche zuvor den heiligen Andreas. „Am Andreastag wird gefeiert, getanzt. Es gibt auch Bräuche, die eher mit Aberglauben zu tun haben, zum Beispiel durch Wachsgießen in die Zukunft zu schauen. Der Andreastag steht am Ende des Kirchenjahres und damit an der Schwelle zum Advent. Er ist der letzte Tag vor einer ruhigen Zeit“, erklärt der Pfarrer von Glauchau bei Zwickau – zum Priester geweiht wurde er in Oppeln.
Ansonsten scheint das Licht in Polen während der Adventszeit spärlicher als in Deutschland. Die Schwibbögen in den vielen Fenstern hat Familie Aftanski erst kennengelernt, als sie vor neun Jahren von Breslau nach Zwickau gezogen ist. Die Dunkelheit wird von polnischen Christen bewusst angenommen und erlebt. „Als Kind bin ich mit meiner Mutter jeden Morgen um sechs Uhr zur Roratemesse gegangen, vor der Arbeit, vor der Schule. Es war anstrengend – aber auch schön, wie die Kerzen geleuchtet haben. Meine Mutter war für mich ein Vorbild. ,Das ist für Jesus‘, hat sie gesagt, ,wir warten auf Jesus‘“, erinnert sich Maria Aftanski.
Die Kinder bekommen ein Bildchen für den Kalender
Nach wie vor werden in Polen Roratemessen gefeiert, täglich von Montag bis Samstag, meist am Morgen, sagt Pfarrer Styra. „Jedes Jahr gibt es ein Thema, zum Beispiel Heilige des Advents. Die Kinder bekommen jeden Tag ein Bildchen mit nach Hause, das sie in ihren Adventskalender kleben können.“
Viele Kinder sind mit Begeisterung dabei, so die Erfahrung des 43-Jährigen. Später begreifen sie, warum nur Kerzen in der dunklen Kirche scheinen. „In der Roratemesse wird der Verkündigung gedacht: Maria erfährt, dass sie den Heiland in ihrem Leib trägt. Jesus, das Licht der Welt, ist noch klein. Das soll die Roratemesse deutlich machen. Sie fordert die Gläubigen auf, aufmerksam und mit Geduld auf den Heiland zu warten“, erläutert der Theologe.
Auch beim Angelusgebet steht die Botschaft, dass der Erlöser kommt, im Mittelpunkt. Der Inhalt des Angelusgebetes fasse den Advent zusammen, findet Waldemar Styra. Deshalb besinnen sich nach seinen Worten viele Polen in der Zeit darauf und beten den „Engel des Herrn“, wenn sie morgens, mittags und abends Kirchenglocken hören.
Beten – und fasten. Zur Adventszeit gehört für viele Polen dazu, auf Dinge zu verzichten, die das Leben versüßen. „Ab dem ersten Advent gab es keine Disko und auch keine anderen Feiern, wenig Kino. Auf Alkohol wurde verzichtet. Kinder sollten keine Süßigkeiten essen“, weiß Bodgan Aftanski noch genau.
Man isst weniger und lebt bescheidener als sonst
Vor etwa zehn Jahren hat die Kirche ihren Standpunkt etwas geändert, sagt Waldemar Styra. „Der Advent wird weniger als Fastenzeit verstanden, sondern als Zeit der freudigen Erwartung. Allerdings wird die Tradition des Fastens vielerorts weitergelebt, besonders in ländlichen Gebieten Oberschlesiens.“ Auch Aftanskis machen Abstriche. „Wir essen etwas weniger, leben ein Stück ruhiger, bescheidener“, so Bogdan Aftanski. Gemeinsam mit Freunden essen zu gehen, kennen sie in der Adventszeit nicht.
Ein weiteres Stichwort, das für den Advent in Polen steht, lautet „Rekolekcje“. Übersetzt heißt das so viel wie Erneuerung und erinnert an Fastenpredigten, die es in Deutschland vor Ostern gibt. Ein Pries-ter aus einer anderen Pfarrei oder einem Kloster kommt und hält mit der Gemeinde Besinnungstage: feiert die heilige Messe, predigt, hält Vorträge für unterschiedliche Gruppen und nimmt die Beichte ab.
„Lange sitzen in der kalten Kirche und zuhören“, fällt Bogdan Aftanski spontan dazu ein, aber auch mancher Satz, den er dort gehört hat, ist hängengeblieben: „Ich war noch sehr klein. Der Priester sagte, dass jeder Einzelne von Gott ein weißes Gewand bekommen hat und dass ich es in meinem Leben nicht beschmutzen soll.“
Besonders in großen Gemeinden wird Rekolekcje auch in diesem Jahr angeboten – oft zugeschnitten auf einzelne Gruppen, beispielsweise Verliebte oder Geschäftsleute, oder auf ein Thema wie Vergebung. Pfarrer Styra spricht von Volksmission oder Exerzitien: „Es geht darum, dass man sich auf das Weihnachtsfest vorbereitet, um es dann richtig zu feiern. So wie ich meine Wohnung aufräume und putze, soll ich mich auch mit meinem Inneren beschäftigen, mein Leben überdenken, auf den Glauben hin, auf Gott hin. Die meisten Gläubigen in Polen gehen im Advent zur Beichte.“ Hinzu kommt für Waldemar Styra, dass der Advent mehrere Dimensionen hat: „Zum einen blicken wir auf das Wiederkommen des Herrn am Ende der Welt, zum anderen harren wir der Stunde der Geburt Christi. Der persönliche Advent unseres Lebens geschieht in der Stunde des Todes, wenn der Herr zu mir kommt.“
Der letzte Tag der Adventszeit ist ein Fast- und Abstinenztag. Am 24. Dezember gibt es tagsüber, solange es hell ist, Wasser und nur ein Süppchen. Es soll gefastet werden, bis der erste Stern am Himmel erscheint. Erst am Abend von Heiligabend gibt es ein Festessen, jedoch ohne Fleisch und Alkohol. Auf den Tisch kommen Borschtsch oder Erbsensuppe, Kartoffeln und Fisch.
Man teilt das Brot und wünscht ein frohes Fest
Eine typische Tradition für Polen ist „Oplatek“, das Brotbrechen oder Oblatenteilen. Jeder in der Familie hält am Heiligabend, bevor das Essen beginnt, eine weiße Oblate in der Hand und bricht sich bei den anderen jeweils ein Stück ab. Beim Teilen wünscht man sich ein frohes Weihnachtsfest.
Und zumindest in einigen Gegenden wie etwa in Oberschlesien oder auch in einigen Familien ist es üblich, den anderen dabei um Vergebung zu bitten für das, womit man ihn im zu Ende gehenden Jahr verletzt hat.
Gert Friedrich