07.01.2014
Kommentar
Eine Scheindebatte
Von Ulrich Waschki
Die Diskussion trägt bittere Früchte: 55 Prozent der Deutschen machen sich einer Umfrage zufolge Sorgen über eine zunehmende Einwanderung aus Osteuropa. Zum 1. Januar ist die volle Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien in Kraft getreten. Rumänen und Bulgaren dürfen sich jetzt in der gesamten Europäischen Union nach Arbeit umschauen.
Grund genug für die CSU auf ihrer diesjährigen Klausurtagung in Wildbad Kreuth über drohende Armutszuwanderung und Sozialleistungsmissbrauch zu diskutieren. Ein Schlüsselsatz aus einer CSU-Vorlage sorgte – zu Recht – für Empörung: „Wer betrügt, der fliegt.“ Um die Lufthoheit über den Stammtischen zu erhalten, greift die CSU zum populistischen Standardrepertoire: Sozialleistungsmissbrauch und Zuwanderung funktionieren offenbar immer.
Dabei sprechen die Fakten eine andere Sprache: Kein Rumäne oder Bulgare kann auch nach neuer Rechtslage nach Deutschland kommen und sofort Hartz IV beantragen. Selbst in ausgesprochen pessimistischen Szenarien gehen Forscher davon aus, dass der Anteil der Rumänen und Bulgaren an den Hartz-IV-Beziehern in Deutschland zum Jahresende lediglich auf 1,5 Prozent steigen wird. Schon als vor drei Jahren die Freizügigkeit für polnische Arbeitnehmer in Kraft trat, gab es ähnliche Befürchtungen. Sie bewahrheiteten sich nicht.
Es ist eine Scheindebatte, die hier von einer Partei, die das Christentum im Namen führt, auf Kosten von Zuwanderern vom Zaun gebrochen wird. Die CSU schürt damit ausländerfeindliche Ressentiments und leistet unserem Land einen Bärendienst.
Denn wir sind auf die Zuwanderung angewiesen. Etwa in der Pflege. Was wäre, wenn keine polnischen Pflegekräfte mehr kämen und sich fast rund um die Uhr um Pflegebedürftige kümmern, die dadurch in ihren eigenen vier Wänden bleiben können? Wer erntet den Spargel von unseren Feldern? Wer zerlegt Hühner und Schweine in Schlachthöfen?
Und das zum Teil unter menschenverachtenden Bedingungen. Wie wäre es, wenn die CSU mal den Missbrauch von rumänischen Werkvertragsarbeitnehmern etwa in der Fleischindustrie ansprechen würde?
Europa wächst zusammen. Das ist alternativlos. Das bringt natürlich auch Probleme, wenn sich etwa in einigen Städten besonders viele arme Zuwanderer ansiedeln. Diesen Städten muss geholfen werden. Aber nicht mit populistischen Parolen und Abschottung.