23.10.2014
Trendsetterunternehmen bieten ganz neue Lebensperspektiven
Die Familie wird auf Eis gelegt
Hätte Paul VI. geahnt, wie weit die Trennung von Liebe und Zeugung gehen könnte, er hätte „Humanae vitae“ sicher schärfer formuliert.
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Schöne neue Welt“: Fürs Firmenwohl wird die Familiengründung auf später verlegt. Fotos: fotolia/Montage: G. von Hebel |
Apple und Facebook zählen zu den mächtigsten Unternehmen der Welt. Apple-Produkte haben das Kommunikationsverhalten der halben Menschheit verändert, ebenso die Internetplattform Facebook mit ihren über 1,3 Milliarden Mitgliedern. Ist es abwegig zu meinen: Die machen auch Schule mit ihrer Art, Mitarbeiter zu führen – genauer Mitarbeiterinnen?
Denen bieten sie Folgendes an: „Du arbeitest bei uns länger und wartest mit dem Kinderkriegen. In zehn bis 15 Jahren hast du genug Geld für ein Haus und auch den richtigen Partner. Dafür zahlen wir dir 20 000 US-Dollar für die Entnahme und das Einfrieren von Eizellen, damit sie später aufgetaut, künstlich befruchtet und dir eingepflanzt werden. Dann kannst du deine Kinder kriegen – mit frischen jungen Einzellen.“
„Social freezing“ wird dieses Verfahren genannt – entwickelt für Krebspatientinnen, die nach Chemotherapie oder Bestrahlung keine befruchtungsfähigen Eizellen mehr produzieren können. Nun setzen Unternehmen auf das Einfrieren von Eizellen aus „sozialen“ – besser: wirtschaftlichen – Gründen. Die Unternehmen kostet es Geld, wenn sie junge Mitarbeiterinnen gehen lassen. Schon wer nach zwei oder fünf Jahren wiederkommt, ist unternehmenstechnisch veraltet. Meint man.
Und behaupten Leute wie der Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky, der fordert: „Deutsche Unternehmen sollten das schnellstens nachmachen!“ Die meisten Reaktionen hierzulande sind aber negativ: „unmoralisch“, „schräg“, „ungeeignet für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.
Der Leiter des katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, meint, der Vorschlag belege einmal mehr,
zu welchen Konsequenzen die von der Kirche abgelehnte künstliche Befruchtung führen könne. Es gehe nicht an, dass die Kinderwunschfrage von Frauen der ökonomischen Optimierung von Unternehmen untergeordnet werde.
Kinderkriegen zwischen zwei Großprojekten
Wie ein Mitarbeitergespräch dann aussieht, kann man sich vorstellen: „Okay Chef, Ende Oktober ist ein Großprojekt fertig. Da könnten wir im März die Eier einsetzen, kurz das Kind kriegen und im Januar kann ich dann den nächsten Auftrag übernehmen. Falls es knapp wird, könnten wir das Kind ja auch schon nach acht Monaten holen.“
So würden Frauen „bis 50 so richtig ausgepowert“ und bekämen dann ihre eingefrorenen Eizellen zurück, meint die Berliner Sozialforscherin Jutta Allmendinger. Im vorgezogenen Ruhestand finde dann die Familienbildung statt. Wie viel Ruhestand 14-jährige Teenager ihren 65-jährigen Eltern gestatten, können erfahrene Mütter und Väter den „social-freezing“-begeisterten Personalchefs und Zukunftsforschern anschaulich berichten. Falls Apple und Facebook sich auch hier als Trendsetter durchsetzen sollten, sind bald nicht nur Eizellen, sondern weite Bereiche unserer Gesellschaft gefroren.
Von Roland Juchem