22.08.2014
Ein Tag des Krieges
Rukaya. 14 Jahre alt. Syrerin. Sieben Operationen hat sie schon hiner sich. Die achte steht bevor. Damit sie keine Schmerzen mehr hat und damit die Prothesen auf ihre Beine passen. "reachofwar" - eine bewegende Multimediareportage von "Ärzte ohne Grenzen".
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Die Ausdruckskraft der Bilder der Reportage ist stark. |
Der Terror der radikalislamischen Islamischer Staat (IS)-Kämpfer im Nordirak hält die Welt in Atem. Fast vergessen scheint da der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien, der seit drei Jahren tobt. Ohnehin war schon vor der Krise im Irak der Syrienkrieg eher eine Sache für Pflichtbewusste. Auch das Spendenaufkommen für syrische Flüchtlinge ist vergleichsweise gering.
Doch der Krieg zwischen dem Assad-Regime und den syrischen Oppositionellen geht weiter, genauso wie das Leid der Zivilisten. Deren Nöte zu lindern, versucht unter vielen anderen auch die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ [1]. Über ihre Arbeit vor Ort hat „Ärzte ohne Grenzen“ jetzt eine sehenswerte Multimediareportage [2] mit Texten, Videos und Bilderstrecken online gestellt (zwar in Englisch, aber mit einem Klick rechts oben kam man zu der Version mit deutschen Untertiteln gelangen). „Die Tragweite des Krieges – ein Tag im Syrien-Konflikt“ [2] lautet der – vielleicht etwas holprige – Titel.
Das Leid der Menschen hinter den Zahlen zeigen
Vier Projekte der Hilfsorganisation an verschiedenen Orten und an einem Tag Ende 2013 werden vorgestellt. Ein Spital im Nordosten Jordaniens, fünf Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt, wo täglich verwundete Syrer eingeliefert werden, oder ein Flüchtlingslager im Nordirak, wo Zehntausende Syrer Zuflucht gefunden haben.
Ziele des Dossiers: die Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“ vorstellen. Die reicht von der Gesundheitsvorsorge im Flüchtlingslager, wo den Kinder beigebracht wird, wie sie ihre Hände richtig waschen, bis zu schwierigen Operationen. Das andere Ziel: das Leid der Menschen hinter den Zahlen des Bürgerkriegs aufzudecken. Die sind so groß wie furchtbar. Mittlerweile hat der Krieg über 150 000 Todesopfer gefordert. Mehr als 9 Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Darunter Millionen syrische Kinder.
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Ein starkes Mädchen: die 14-jährige Rukaya |
Hinter den Zahlen verbergen sich Millionen Einzelschicksale. Auch das der 14-jährigen Rukaya. Das hübsche Mädchen lächelt viel auf den Fotos und im Video. Ein Wunder. Das Mädchen hat seine Mutter verloren, als sie mit ihr und einer Nachbarin spazieren war. Eine Granate schlug ein. Ihre Mutter und die Nachbarin starben. Rukaya spürte nur noch, wie ihre „Beine“ weg schmolzen, dann wachte sie wieder im Krankenhaus auf. Beide Beine waren amputiert. Entschlossen und mit einem Lächeln sagt sie in die Kamera, dass sie später ein glückliches Leben führen will.
So zeigt die Reportage die ganze Tragik des Krieges und die Wichtigkeit der Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“. Manchmal würde man sich aber wünschen, mehr über die Betroffenen zu erfahren. Ihre Geschichten hören. Denn mit der Ausnahme der Geschichte von Rukaya geschieht das leider nicht.
Ebenfalls sehenswert: Videoreportage über das IS-Kalifat
Im Schatten des syrischen Bürgerkriegs konnten in den vergangenen Jahren in Teilen Syriens auch die IS-Milizen gedeihen. Mit dramatischen Folgen, wie die Welt derzeit feststellen muss. Über das von ihnen ausgerufene Kalifat erschien jetzt eine viel diskutierte Videoreportage [3]. Dem britischen Journalisten Medyan Dairieh ist es gelungen, sich in das neu ausgerufene „Kalifat“ zu begeben und sich von den Terroristen die Logik ihres Regimes erklären zu lassen. Sehen kann man seine Reportage auf dem Online-Magazin „Vice“ [4].
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Erschreckend: die indoktrinierten Kinder und ihre Aussagen |
Das Video (nur in Englisch) zeigt dabei den Alltag in der syrischen Stadt Rakka, dem Hauptquartier der Terrormiliz. Für den Zuschauer ist das häufig kaum zu ertragen. Wenn zum Beispiel der neunjährige Junge in die Kamera sagt, dass er sich schon freue, wenn er eine Kalaschnikow bekomme, um möglichst viele Ungläubige zu töten. Davor sieht man noch, wie die Jungen mit den Kämpfern zusammen im Euphrat baden.
Der Reporter riskiert sein Leben – und muss sich den Bedingungen seiner Gastgeber fügen. Die Bilder zeigen, was die IS-Kämpfer gezeigt haben wollen. Es sind die Ermordeten, die rollenden Köpfe. Man sieht die Rundgänge der Sittenpolizei. Die Gefangenen, die in die Kamera sagen müssen, dass sie sich auf die Peitschenschläge freuen. Die Waffenparaden, die erzwungenen Schwüre auf das Kalifat – und eben die Indoktrinierung der Kinder.
Am Ende ist es ein Dokument des Grauens, das dramatische Einblicke in die Welt des Kalifats bietet. Ist das Vice-Magazin wegen seiner Inhalte auch oft umstritten, hier lohnt sich ein Besuch.
Ihr Webreporter Daniel Gerber
Unsere Mitarbeiter haben bereits Feldspitäler in privaten Wohnungen, einer Hühnerfarm und sogar in einer Höhle eingerichtet. Personal und Ressourcen stammten aus verschiedenen Ländern, der Großteil aus Syrien selbst. Zudem hat Ärzte ohne Grenzen rund 50 Spitäler und 80 Gesundheitszentren, die von medizinischen Netzwerken in Syrienbetrieben werden, mit Materialspenden unterstützt.
Immer stärker beteiligen sich auch die IS-Milizen im syrischen Bürgerkrieg.