14.05.2015
Multimedia ist bei Reportagen Trumpf
Es ist wieder soweit. Am 18. Juni wird in Köln der bedeutendste Medienpreis für Internetpublikationen, der Grimme Online Award [1], vergeben. Von 1.400 Vorschlägen hat eine Fachjury jetzt 25 Beiträge ausgewählt. Auffallend ist, dass diesmal etliche Reportagen – etwa über Nazi-Väter und Flüchtlingsschicksale - nominiert wurden, in der zum Teil sehr gekonnt Wort, Bild, Ton und Videos vermengt werden.
Es war kein leichter Job, den die Jury da hatte. Aus insgesamt 1.400 Vorschlägen mussten sie 25 auswählen. Nun ist es geschafft, und ab sofort haben Sie – verehrte Leser – das Wort. Denn der Grimme-Online-Award ist, was viele nicht wissen, ein Publikumspreis. Abstimmen können Sie noch bis zum 11. Juni. Und zwar auf der Webseite von TV-Spielfilm [2].
Auffallend ist, wenn man sich die Nominierungsliste einmal näher anschaut, dass endlich auch einige deutsche Verlagshäuser das Internet als Medium für große, journalistische Erzählungen entdeckt haben. Bisher galten Reportagen hierzulande – anders als etwa in England oder in den USA, wo Zeitschriften wie die New York Times [4] es schon lange vormachen - als Domäne der Zeitungen und Magazine. Dass aber gutes „Storytelling“ nicht nur im Print, sondern auch Internet funktioniert (fast besser noch, auf jeden Fall aber anders), beweist unter anderem der Beitrag „Mein Vater, ein Werwolf [3]“. Hier geht Spiegel-Reporter Cordt Schnibben der Nazi-Vergangenheit seines Vaters nach und arbeitet die Verleugnungsstrategien seiner Eltern auf. Serviert wird das Ganze in einer Art Comicstil, gepaart mit Tönen, Texten und Fotos… Stilistisch beeindruckend kommt auch eine Geschichte auf Zeit-Online daher. Die Reportage „Wer darf leben?“ [5] setzt sich in Wort, Bild und etlichen Filmschnipseln – mit der Pränataldiagnostik auseinander. Damit auch geistige behinderte Menschen und Kinder das Ganze verstehen können, ist die Geschichte parallel zur Originalreportage auch „in leichter Sprache [6]“ erschienen.
Multimedia ist jetzt auch bei klassischen Zeitungsverlagen Trumpf!
Beim Berliner Tagesspiegel feiert dagegen ein altes, zwischenzeitlich tot gesagtes Format – der Newsletter – ein fröhliches Auferständnis. Der „Checkpoint [7]“ von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt erscheint am frühen Morgen, also noch bevor die meisten Hauptstädter für gewöhnlich das Licht des Tages erblicken. Anders als die meisten anderen, oft leider etwas piefig formulierten Rundbriefe, pflegt Maroldt in seinen Kommentaren einen bissigen, zuweilen vielleicht etwas zu zynischen, jedoch immer flott-saloppen Sprachstil.
Als Wahlberliner finde ich toll, dass es neben dem Checkpoint auch die Morgenpost mit einer Geschichte über Berlins legendäre Buslinie 29 [8] sowie die Internetbezirks-Postille „Neuköllner.net [9]“ (mit dem Untertitel „Alltag und Anarchie“) auf die Nominierungsliste geschafft haben.
Neue Akzente im Netz setzen vor allem die Fernsehsender
Neben den Verlagen setzen nach Worten der Grimme-Fachjury erneut einige Fernsehsender „Akzente im Netz. So ist der deutsch-französische Kulturkanal ARTE auch dieses Jahr mit zwei sehr unterschiedlichen Formaten im Rennen um die Preise: Die Dokumentation „Polar Sea 360° [10]“ ermöglicht eine Reise in die Arktis mit selbst gesteuertem Rundumblick, und bei „Refugees – 4 Monate, 4 Camps [11]“ kann der Nutzer virtuell in Flüchtlingscamps reisen und eigene Reportagen erstellen. Mit der Flüchtlingsthematik beschäftigt sich auch das SWR-Angebot „Jeder Sechste ein Flüchtling [12]“. Die Multimedia-Reportage berichtet in einer Langzeitbeobachtung über das Zusammenleben von Flüchtlingen und Bewohnern von Meßstetten, einer Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb.
Doch am besten urteilen Sie selbst. Abstimmen können Sie – wie gesagt - noch bis zum 11. Juni auf TV-Spielfilm.de [2]. Genau dort finden auch Sie einen guten Überblick über alle nominierten Beiträge, Webseiten und Blogs.
Ihr Webreporter Andreas Kaiser