20.01.2016
Einfach mal abschalten
Smartphones sind für die meisten von uns längst unverzichtbar geworden. Doch eine unkontrollierte Handy-Nutzung schwächt nicht nur die Konzentrationskraft, sondern ist im Straßenverkehr sogar lebensgefährlich. Ausgerechnet mit einer App wollen Wissenschaftler aus Bonn zu einem bewussteren Gebrauch des Mobiltelefons animieren.
Wahrscheinlich haben wir das inzwischen alle schon mal erlebt. Abends beim Spaziergang oder Joggen kommt uns plötzlich ein Mensch mit hell erleuchtetem Gesicht entgegen. Doch statt den Blick auf uns, das Trottoir oder andere Mitmenschen zu lenken, gilt dessen ganze Konzentration dem Smartphone. Entweder Sie weichen nun aus oder es kommt zur Kollision. Immer häufiger, so berichten Polizisten, überqueren junge Menschen sogar dichtbefahrene Straßen oder Kreuzungen, ohne den Blick auch nur ein einziges Mal von ihrem Chat auf WhatsApp oder Facebook abzuwenden. Auch die mittlwerweile fast schon dramatische Häufung tödlicher Verkehrsunfälle durch Handygebrauch spricht eine eindeutige Sprache. Immer mehr Menschen scheint die Nutzung ihres Smartphones komplett entglitten zu sein. Nicht sie kontrollieren die Technik, sondern die Technik sie. So jedenfalls lautet die zentrale Vermutung einiger Forscher von der Universität Bonn.
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Die App "Menthal" will Bewusstsein für den oft längst automatisierten Griff zum Handy wecken (Fotos: Screenshots aus dem Menthal-Werbefilm [1]) |
Um nun ihre These (Handy gleich Suchtstoff) wissenschaftlich zu untermauern, entwickelten einige Informatiker und Psychologen gemeinsam die App Menthal [2], die minutiös (aber streng anonymisiert) jede Nutzung des Smartphones aufzeichnet. Mehr noch: „Menthal kann als digitale Waage benutzt werden“, erklärt der Informatiker Alexander Markowetz [3], der jüngst bereits das viel diskutierte Buch „Digitaler Burnout“ [4] vorgelegt hat. Anders formuliert: Die Software soll ihrem Nutzer auf Dauer einen bewussteren Umgang mit seinem Mobiltelefon ermöglichen, eben weil dem Telefonbesitzer auf einmal offensichtlich wird, wie oft und wie lange er vielleicht sogar unbewusst sein Handy benutzt. Und dass mitten im Straßenverkehr, mitten bei einer wichtigen Arbeit, oder auch beim Gespräch mit dem besten Freund, der dieses Verhalten womöglich zu Recht als respektlos empfindet. Denn wirklich gute Gespräche kommen mit Menschen, die dauernd simsen, nun wirklich nicht mehr zustande.
Mit Handy nix „Flow“
„Die Idee hinter der App ist, Handynutzern die Möglichkeit zu geben, über ihren Handygebrauch nachzudenken, zu reflektieren und wenn es sein muss, ihn auch zu verändern“, sagt Markowitz. „Klar, das Gerät hat viele Vorteile“, ergänzt Christian Montag. [5] Aber unsere Konzentration leide unter den ständigen Blicken auf das Handy massiv, ist sich der Molekularpsychologe sicher. Jedes Anklopfen von Whatsapp, jedes Pfiepsen einer eingehender SMS oder Email unterbricht den natürlichen Handlungsablauf. Bis das Ganze im schlimmsten Fall chronisch wird, und sich der ein oder andere Handynutzer am Ende auf fast keine Tätigkeit längere Zeit am Stück konzentrieren kann. Psychologen haben herausgefunden, dass das Hirn etwa zwanzig Minuten braucht, bis es sich vollkommen, ganz und gar, in eine Arbeit (zum Beispiel in das Schreiben dieses Textes hier) versenkt hat und in den sogenannten, glücklich machenden „Flow [6]“ gerät.
Wie sehr die Wissenschaftler den Nerv der Mobilfunkgeneration getroffen haben, zeigen die Zugriffszahlen. Innerhalb nur weniger Tage hatten sich 300.000 Menschen die App heruntergeladen. Und dass, obwohl es die Software bisher nur für Android-Geräte (und zwar im Google-Play-Store [7]) gibt.
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Seien wir ehrlich. Für viele von uns ist das digitale Rauschen doch längst zum Dauerzustand geworden... |
Inzwischen liegen den Forschern auch die ersten Zwischenergebnisse ihrer Arbeit vor, die sie bislang aber noch nirgends offiziell publiziert haben. Einigen Zeitungen - etwa das evangelikale Medienmagazin Pro [8] oder die NOZ [9] berichteten jedoch, dass Smartphonebesitzer ihr Gerät durchschnittlich 88 mal am Tag benutzen, bzw. spätestens alle 12 Minuten (tagsüber) zum Handy greifen. Manche sogar nachts, und doppelt oder dreimal so oft wie der Durchschnitt. Ein Viertel der Menthal-Nutzer telefoniert mehr als zwei Stunden pro Tag. Auf Youtube gibt es zur Handy-Manie [1] einen kurzen Videobeitrag zu sehen.
Auch wenn Handysucht noch lange nicht offiziell Krankheit anerkannt wird, so ist doch klar, dass „der Umgang mit Mobiltelefonen durchaus suchtähnliche Symptome hervorrufen kann“, bestätigt Montag. Genau wie jeder andere Suchtstoff führt auch übermäßiger Handykonsum irgendwann zur Vernachlässigung von wichtigen Aufgaben oder der Pflege von Sozialkontakten. Und manchmal, das wissen Verkehrspolizisten, endet die dauernde Handyfummelei sogar tödlich… Sogar für Unbeteiligte!
Ihr Webreporter Andreas Kaiser