12.05.2023
Warum Rede und Antwort zu stehen, heute so schwierig ist
Ja, es braucht Mut
Die Empfänger des ersten Petrusbriefs hatten es nicht leicht: Sie wurden wegen ihres Glaubens verlacht, verdächtigt, angefeindet. Und doch, heißt es in der Lesung, sollen sie „Rede und Antwort stehen“. So wie wir heute.
Von Susanne Haverkamp
Im März habe ich eine Kirchengemeinde besucht, die mich zur Fastenpredigt eingeladen hatte. Sie sollte sich mit dem Jahresthema der Pfarrei beschäftigen: Mut. In verschiedenen Facetten wird dort das Thema beleuchtet. Die Facette, die mir aufgegeben wurde, war sehr speziell: vom Mut zuzugeben, in der katholischen Kirche mitzumachen.
Am Telefon hatte mir der Pfarrer erzählt, die Predigtidee sei im Pfarrgemeinderat aufgekommen. Dort hätten Leute gesagt, dass sie Kollegen oder Bekannten nur noch ungern von ihrem kirchlichen Engagement erzählen. Zu groß sei deren Unverständnis, dass sie „bei dem Laden noch mitmachen“; zu oft seien solche Gespräche in Diskussionen über pädophile Priester, mafiöse Strukturen und Missachtung von Frauen abgedriftet. Das muss man sich nicht antun. Oder doch?
Die Erfahrung, wegen seines kirchlichen Engagement angegriffen zu werden, ist bitter. Noch vor 20, 30 Jahren war es vielerorts normal, katholisch zu sein. Rechtfertigen musste sich – zumindest im katholischen Dorf – eher der, der nicht zur Kirche ging. Und in den Kirchenvorstand oder Pfarrgemeinderat gewählt zu werden, war fast schon eine Auszeichnung. Heute braucht es Mut, zuzugeben, dass man katholisch ist. Und zur Kirche geht. Und sich in der Gemeinde engagiert.
Natürlich hat das Gründe. Der Missbrauchsskandal und der Umgang mit Tätern und Opfern ist vermutlich der wichtigste. Was die Sache aber nicht einfacher macht. Denn es bleibt die Frage, die jeder und jede für sich beantworten muss: Wie gehe ich mit dieser verfahrenen Situation um?
Möglichkeit 1: Märtyrer sein
Schon die neutestamentlichen Schriften sind voll mit den Warnungen: Sie werden euch verlachen, euch ausgrenzen, euch vielleicht sogar Gewalt antun. Freunde, Familie, alle werden gegen euch sein. Aber: Freut euch und jubelt, der Lohn im Himmel wird groß sein!
Ich weiß nicht, ob die ersten Christen sich tatsächlich gefreut haben über Anfeindungen, aber heute tun es manche. Vor allem solche, die sich ihrer Sache sehr, sehr sicher sind. Die sich vielleicht sogar in dem Gefühl sonnen, Gottes Lieblinge zu sein, während die, die sie heute angreifen, schon sehen werden, wo sie landen, irgendwann. Die sehr genau wissen, was richtig und was falsch ist – und dass sie selbst ganz sicher richtig liegen.
Viele andere sind nicht so sicher. Und zwar deshalb, weil sie viel Kritik durchaus teilen können. Mit jedem Missbrauchsgutachten, jedem Finanzskandal, jeder schrägen Personalie fragt man sich doch selbst: Kann ich noch mitmachen? Da ist Märtyrertum eine schwierige Option.
Möglichkeit 2: Rückzug
Dafür gibt es zwei Varianten. Die eine: Rückzug aus der Kirche. Vermutlich kennt jeder Menschen, die das getan haben. Die früher selbstverständlich zur Gemeinde gehörten und nun fehlen. Nicht, weil sie nicht mehr glauben würden, sondern weil sie all das andere nicht mehr ertragen und schon gar nicht mehr mittragen wollen. Das ist verständlich, aber traurig.
Man kann sich aber auch aus dem Gespräch zurückziehen. Wenn irgendwo die Rede auf die Kirche kommt: Mund halten. Wenn man wegen des Pfarrgemeinderatswochenendes nicht zu einem Geburtstag kommen kann, keinen Grund für die Absage nennen. Wenn jemand eine kritische Bemerkung macht: weggehen oder zumindest sagen „Können wir bitte das Thema wechseln“. Bei Familienfeiern gleich die Vorgabe machen: Über Kirche wird nicht gesprochen.
Total verständlich, diese Reaktion. Und oft sicher auch nicht falsch um des lieben Friedens willen. Und doch sind viele mit dieser Lösung nicht wirklich glücklich. Da bleibt oft ein blödes Gefühl zurück: Ich will doch eigentlich zum Glauben stehen, zu meinem Engagement in der Kirche. Sollte ich nicht ...? Müsste ich nicht ...?
Möglichkeit 3: der kluge Mittelweg
Ihn empfiehlt der erste Petrusbrief in der heutigen Lesung. Es heißt dort:
Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen,
der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt;
antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig,
denn ihr habt ein reines Gewissen.
Das heißt zunächst: Wir müssen nicht immer mit der Tür ins Haus fallen. Es genügt zu antworten, wenn ich gefragt werde. Kirchenleute antworten ja viel zu oft auf Fragen, die keiner gestellt hat. Deshalb reicht es zum Beispiel zu sagen: „Ich kann nicht zu der Feier kommen, ich habe schon etwas anderes vor!“ Erst eine Frage, dann die Antwort.
Das zweite: Rede und Antwort stehen, ja! Aber nicht über alles und jedes. Sondern über die Hoffnung, die uns erfüllt. Niemand muss ständig Rede und Antwort stehen über Missstände in der Kirche. Wenn man darauf ansgeprochen wird, darf man sagen: „Das finde ich auch ganz furchtbar. Daran ist nichts zu verteidigen!“ Aber, und hier kommt der Dreh: Die Hoffnung, die mich erfüllt, ist größer, viel größer als die Institution Kirche. Über die Hoffnung, die mich erfüllt, über den Glauben und die Liebe, über die kann ich gerne reden.
Probieren Sie das mal: Lenken Sie das Thema um von den Äußerlichkeiten der Kirche auf das Innere des Glaubens. Zum Beispiel so: „Ach, du immer mit deiner Kirche!“ – „Nee, ich nicht mit meiner Kirche, sondern ich mit meinem Glauben. Willst du über den was wissen?“ Oder: „Dass du bei dem Laden immer noch mitmachst!“ – „Der Laden ist kein Selbstzweck. Ich glaube eben daran, dass Christsein nicht alleine geht, sondern Gemeinschaft braucht – und das ist die Kirche.“ Thema umlenken: von außen nach innen. Denn das Innen ist wichtiger.
Und schließlich gibt der Petrusbrief noch einen letzten Tipp: „Antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen.“ Soll heißen: kein Kampfmodus. Ruhig antworten, geradezu bescheiden. In der Überzeugung, dass das, was Ihre Gemeinde vor Ort macht, gut und richtig ist, dass Sie guten Gewissens dort mitmachen: in der Caritas, in Verbänden, in der Katechese, in der Liturgie. Aber auch ehrfürchtig, also: den anderen ernst nehmen. Seine Anfragen nicht aggressiv niedermachen. Ihm zugestehen, dass er vielleicht auch ein bisschen recht hat.
Ja, es braucht Mut, zu seinem kirchlichen Engagement zu stehen, damals wie heute. Aber wenn man es so tut, wie der erste Petrusbrief es beschreibt – ruhig, respektvoll und mit Blick auf die Hoffnung, die uns erfüllt – dann wird Respekt zurückkommen. Und manches Gespräch wird vielleicht sogar richtig gut.