05.05.2023

Die Bitte des Philippus und verständlich - und gleichzeitig dumm

Zeige uns den Vater!

Es ist ein verständliches Ansinnen, das Philippus im Evangelium äußert: Zeige uns Gott – und alles ist klar. In diese Bitte könnten viele einstimmen, müssten sich dann aber genau wie Philippus sagen lassen: Wie kannst du sowas fragen?!

Fotomontage: picture-alliance/akg-images/Joseph Martin; istockphoto/Artemisia1508
Paolo Veronese (1528-1588) hatte keine Scheu, Gottvater zu malen. Wir schon, deshalb haben wir sein Original etwas verwischt.
Fotomontage: picture-alliance/akg-images/Joseph Martin;istockphoto/Artemisia1508

Von Susanne Haverkamp

Wie gut kann man Thomas und Philippus verstehen. Da hält Jesus, so heißt es im Johannesevangelium, im Abendmahlssaal eine Rede, die zweifellos gut klingt, aber bei näherem Nachdenken reichlich Fragezeichen hervorruft. „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen ... Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen“, kündigt Jesus vollmundig an. Und noch merkwürdiger: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“

Uns kommen diese Sätze hoch vertraut vor, ja, geradezu selbstverständlich. Aber versetzen Sie sich mal in die Lage der Jünger Jesu: Die Situation spitzt sich gerade zu, die Begeisterung der Massen ist verflogen, die religiöse und politische Führungsetage plant, die junge Reformbewegung im Keim zu ersticken durch die Hinrichtung des Anführers. Und statt einen Schlachtplan zu entwickeln oder wenigstens das Weite zu suchen, hält der Anführer seltsame Reden.

Kein Wunder also, dass Thomas und Philippus skeptisch sind. „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst“, zweifelt der eine, und der andere fordert Beweise: „Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns.“ Eben: Ein Blick auf Gott würde doch reichen. Ein einziger echter, nachvollziehbarer Beweis. Und dann ist gut. Dann glauben wir deinen Reden und folgen deinen Lehren. Zeige uns den Vater, das kann doch keine große Mühe für dich sein.

Ein Blick könnte alles verändern

Diese Szene spielt im Abendmahlssaal, aber auch danach wäre das Anliegen absolut verständlich. Beispiel Karfreitag. Einige Gegner Jesu  gehen, wie der Evangelist Matthäus erzählt, am Kreuz vorbei und sagen: „Er soll jetzt vom Kreuz herabsteigen, dann werden wir an ihn glauben.“ (Mt 27,42) Klar, war von ihnen wohl spöttisch gemeint. Aber stellen Sie sich mal vor, Jesus hätte es getan. Alle Skepsis, aller Zweifel, aller Unglaube wären in dieser Sekunde hinfällig gewesen.

Und nach Ostern? Ja, der Auferstandene zeigt sich seinen Jüngern. Irgendwie. Denn so richtig klar erkennbar ist Jesus ja meist nicht, weder beim Fischen am See noch auf dem Weg nach Emmaus; man sieht offenbar nur mit dem Herzen gut. Hätte Jesus nicht auch Pilatus erscheinen können? Den Hohepriestern? Den Pharisäern? All seinen Gegnern? Dann wäre die Weltgeschichte vielleicht anders verlaufen.

Und schließlich: Könnte er nicht heute mal erscheinen, dreinschlagen, Ungerechtigkeiten beseitigen, Frieden schaffen, sich einfach mal sehen lassen? „Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns.“ Ich kann Philippus gut verstehen. Sie vielleicht auch.

Hast du eigentlich gar nichts kapiert?

Jesus hingegen nicht. Und er lächelt auch nicht verständnisvoll und milde ob dieses Wunsches, nein, er fährt Philippus mit aller Schärfe über den Mund. „Wie kannst du sowas fragen?!“, heißt es bei Johannes. Mit heutigen Worten: Geht’s noch? Spinnst du? Hast du wirklich gar nichts geschnallt? HALLO?!

Nein, Thomas und Philippus haben gar nichts geschnallt. Vor allem zwei Punkte nicht. Erstens, dass Gottvater vielleicht gar keine Gestalt hat, die man zeigen könnte. Und zweitens, dass Jesus selbst die für uns Menschen sichtbare Seite Gottes ist. Das ist ja gerade der Trick an der Menschwerdung.

Fangen wir an mit der sichtbaren Gestalt des Vaters. Diese Bitte des Apostels Philippus ist schon deshalb dumm, weil er gläubiger Jude ist. Als solcher haben er (und Jesus) quasi mit der Muttermilch das Gebot aufgesogen: „Du sollst dir von Gott kein Bildnis machen.“ Andere Völker glauben, dass Gott wie ein Stier aussieht oder wie ein goldenes Kalb, wie eine vollbusige Frau oder wie ein bärtiger Mann. Du aber sollst dir kein Bild von Gott machen. 

Wie also soll Jesus den Jüngern den Vater zeigen? Geradezu blasphemisch ist diese Bitte in einer Religion, in der sich Gott im Säuseln des Windes zu erkennen gibt, in den Flammen des Dornbusches, in einer erträumten Stimme. Kein Wunder, dass Jesus empört ist.

Gottes Wesen ist wichtiger als seine Optik

Den zweiten Punkt findet Jesus aber offenbar noch schlimmer: „Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist?“, fährt er Philippus an. Und es klingt schon fast verzweifelt, wie er die Jünger anfleht: „Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist!“ Und noch mal: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen!“

Und das meint Jesus selbstverständlich nicht optisch. Eher charakterlich. Wer mich gesehen hat, hat gesehen, wie Gott ist: so barmherzig wie Jesus, so liebevoll, so gütig. Aber manchmal auch so zornig, so harsch, so kompromisslos. 

Auch wenn wir in der Kirche oft vom Ende her denken, vom Kreuz, vom Sühnetod, von der Erlösung – vielleicht ist ja gerade das der ursprüngliche Auftrag Jesu, der Sinn seiner Menschwerdung: uns Menschen zu zeigen, wie Gott ist. In Jesu Person, in seinem Leben, seinem Handeln, seinen Worten können wir Gott sehen. Unmissverständlich. Gottes Wesen, nicht seine Optik. Denn mal ehrlich: Schon bei uns Menschen ist doch die innere Qualität wichtiger als die äußere Fassade. Wie viel mehr dann bei Gott?

Ja, die Bitte des Philippus ist verständlich, damals wie heute. Aber sie ist auch dumm. Und unnötig. Wir haben Jesus, wir kennen das Zeugnis der Bibel über ihn, wissen, wie er lebte und was er wollte. Das genügt. Was Gott selbst betrifft, hat es der kürzlich verstorbene niederländische Priester und Dichter Huub Oosterhuis so ins Lied gebracht:

Du bist nicht sichtbar 
für unsre Augen, 
und niemand hat dich je gesehn.
Wir aber ahnen dich 
und glauben, dass du uns liebst, 
dass wir bestehn.